Freitag, 6. August 2010

Reinhild Paarmann: Harzer Str. 65


Eine Frau im leuchtend türkis-gemusterten Bademantel
geht zu einem Auto, palavernde Männer, Kinder,
ich frage ein kleines Mädchen nach Elisa Stan,
bereitwillig führt sie mich zu einer falschen Familie,
ein deutscher Mann meint: „Man weiß nie, wer hier alles wohnt.“
Im Hinterhof stehen die Wäscheständer,
liegen Decken über den Zäunen.
Einige Wohnungstüren zeigen den Romas die beklebten Schultern:
Volkstreue Zone,
du nix betteln- du nix klingeln,
du nix klopfen – du hier nix erwünscht.
Legion 47“.
Ein anderer Aufkleber verkündet:
Was kann ich für Eure Welt.“
Zuletzt: „ Helden leben lange,
doch die Legenden sterben nie.“
Ich frage nach Elisa, sie ist mit ihrer Mutter hier angemeldet,
aber kam nicht mehr zur Schule,
eine Roma-Frau zeigt mit den Fingern zum Mund,
dass sie nicht Deutsch sprechen kann.
Ich gehe die Treppen hoch und runter:
Seitenflügel, Hinterhaus.
An einer Tür steht: „Im Himmel gibt’s kein Bier,
drum trinken wir es hier.“
Und an einer anderen: „Hier ist keine öffentliche Telefonzelle.“
Darunter: „ 40 Jahre sind genug
BtMG.“ Und einen Artikel aus einer Zeitung mit dem Titel
Recht auf Rausch“.
Viele Kingelschilder ohne Namen,
ein Lolli auf dem Boden,
auf einem Fensterbrett eine zerquetschte Erdbeere,
an einer Wand lehnt ein zerbrochener Spiegel,
Plastiktüten vor dem Dachboden,
ich suche Elisa, die in einem Reisebus nach Serbien sitzt,
50,-€ hat die Familie bekommen, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrt.
Vor dem Haus Männer mit Handys,
die Sonne spiegelt sich in einer dunklen Brille,
während Elisa Brennesseln essen wird.


(20,0 P.)

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