Donnerstag, 3. März 2011

Gunda Jaron: Sein Brief

Sein Brief -
grauschwarze Worte, vergilbtes Papier:
Weihnachten bin ich wieder bei dir ...
 
Sein Brief -
zerknittert vom Ent- und Zusammenfalten,
vom tausendfach In-den-Händen-halten,
 
vom tausendmal Lesen. Links oben im Eck
erinnert verblassend ein Rotweinfleck
 
daran, dass alles um sich sie vergaß,
als sie mit klopfendem Herzen sie las,
 
die Worte, die er ihr aus Russland geschrieben,
die Worte, die alles sind, was ihr geblieben.
 
Sein Brief -
die Ränder von haarfeinen Rissen gesäumt,
die Tinte verlaufen, als hätt' er geweint ...
 
Sie starrt auf die Zeilen, längst tränenleer. Stumm
formen die Lippen: Warum nur, warum?
 
Sein Brief -
sie legt ihn ins Kästchen mit zitternder Hand.
Gefallen im Kampf für sein Vaterland ...
 
:
 
Großvaters Brief -
Sie gab mir das Kästchen, es steht jetzt vor mir.
Ich streich' mit den Fingern zart das Papier.
 
Ihr Wort sollte mir in Erinnerung bleiben:
Möge dir niemand solch' Zeilen je schreiben ...
 
:
 
Ach, mein Sohn ...

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