Samstag, 27. August 2011

Susanne Brandt: Mastenwald u.a.

Mastenwald (1938)

Für Felix Nussbaum (1904-1944)

Die Lampe brennt nicht mehr.
Verworrene Masten,
kein Zeichen
wohin und woher.

Schon hat der Sturm die Macht
und zerrt an den Balken,
gespenstisch
im Dunkel der Nacht.

Aus Tiefen aufgetaucht:
ein hungriger Raubfisch,
der fordert
und nimmt was er braucht.

Der Maler pinselt noch,
als hieße die letzte
Gewissheit:
Und ich male doch!



Mit dem Stift in der Hand

Chanson für Käthe Kollwitz

Sie rüttelt am ruhigen Gewissen,
schaut wachsam auf das, was geschieht.
Im Unrecht erkennt sie die Mördergestalt,
zeigt Dinge, die niemand gern sieht.

Ergriffen vom Elend der Kinder,
hält sie ihren Zorn nicht zurück,
bleibt stark in der Liebe, lockt Freude hervor -
Balance zwischen Trauer und Glück.

Sie zeichnet die Not vieler Frauen:
Wer dient und gehorcht, gilt als gut.
Sie rackern und schuften und legen sich krumm,
bis keine mehr merkt, was sie tut.

Da schleicht sich der Krieg in die Köpfe
und nistet sich tückisch dort ein.
Sie setzt sich zur Wehr mit dem Stift in der Hand,
malt wieder und wieder ihr Nein.

Ihr Blick sucht die Botschaft der Augen.
Sie findet die Angst im Gesicht.
Wenn manche auch reden von Ehre und Sieg,
sie traut den Maskierungen nicht.

Sie spricht eine andere Sprache.
erzählt ohne Worte, was ist.
Dass niemand, der sich ihre Bilder anschaut,
die Würde der Menschen vergisst.

Zwischen Heide und Himmel
Chanson für *Etty Hillesum (1914-1943)

Bei ihr brannte oft in der Nacht noch ein Licht,
dann schrieb sie in ihr Tagebuch.
Verbittert und sprachlos aufs Ende zu warten,
war für sie noch lang nicht genug.
Lag um sie herum auch soviel schon in Scherben,
sie holte die Teilchen ans Licht.
An all diesen Brüchen, an Widersprüchen -
daran zerbrach sie nicht.

Sie wusste, da ist ein besonderer Schatz,
den niemand ihr wegnehmen kann:
die Lust noch zu lieben, zu lachen zu leben
fing jeden Tag neu für sie an.
Sie warf sich nicht wehrlos dem Tod vor die Füße,
blieb fragend und wach vor ihm stehn.
Sie wollte ihn aufrichtig kennenlernen,
um nicht in ihm unterzugehn.

Wie malend mit kraftvollem Pinselstrich,
entwickelte sie Wort für Wort
die Bilder, gerahmt zwischen Heide und Himmel
inmitten von Westerbork.
Sie schrieb von den Menschen in dunklen Baracken,
sah Dinge, die keiner mehr sah:
verborgen noch leuchtende Lebensfarben
die waren bei ihr wieder da.

Ihr Weg wurde enger, das schreckte sie nicht.
Der Himmel darüber blieb weit,
gab Luft noch zum Atmen - trotz Not und Bedrängnis
erschien sie ihr kostbar, die Zeit.
Sie fand für das Leben ganz andere Maße,
hat nicht mehr die Tage gezählt.
In tiefen Begegnungen, Stunden, Gedanken,
da war für sie alles erfüllt.


*Etty Hillesum (1914-1943) lebte als jüdische Studentin in Amsterdam und verfasste 1941-1943 ein bis heute viel beachtetes literarisch-philosophisches Tagebuch, in Deutschland erschienen unter dem Titel „Das denkende Herz“. Sie kam 1943 in Auschwitz um. Ihre Aufzeichnungen wurden erstmals 1981 in den Niederlanden veröffentlicht. 70 Jahre nach Beginn ihrer Aufzeichnungen und 30 Jahre nach der Wiederentdeckung gibt das Jahr 2011 einmal mehr Anlass, an die bemerkenswerte Frau zu erinnern.



(20,6 P.)

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