Mittwoch, 12. Januar 2011

Hung Gurst: Moru, der kleine Elefant

Moru, der kleine Elefant
Abermals haben die Elefanten mich gerettet. Ich meine, indirekt haben sie mich gerettet.
Es war an einem Sonntag, ein paar Tage nach der Öffnung der Grenze zwischen West- und Ostberlin, ich fuhr von Berlin nach Leipzig. Vorher hatte ich mir die Mauer angeschaut. Mit gemischten Gefühlen saß ich allein in einem Abteil und dachte über das, was in Deutschland gerade passierte, nach. Ich verstand sehr gut, das die Deutschen sich freuten. Auch ich hatte dieses enthusiastische Gefühl gehabt, als mein Land vereinigt wurde... Und doch hatte ich schon damals ein wenig Angst gehabt und hatte mich oft gefragt, wie wir mit unseren Brüdern und Schwestern aus dem kommunistischen Norden zusammenleben würden, nach so vielen getrennten Jahren. Aber was jetzt hier in Deutschland passierte, war anders als damals bei uns: Hier hatte die
Demokratie gesiegt. Und wie die meisten Ostdeutschen, liebe ich die Demokratie.
Während ich da allein die Demokratie feierte, öffnete sich plötzlich die Tür. Vier Männer standen vor mir. Ohne mich zu fragen, ob noch frei wäre- als brauchten sie das nicht, denn hier ist doch ihr Zuhause. Ohne einen Guten Tag!- setzten sie sich und fingen an zu rauchen.
Ihrem Aussehen nach vermutete ich, sie seien Westdeutsche. Sie waren sehr gut gekleidet. Aber dann musste ich an ihrer Haltung und ihrer Sprache feststellen, das sie Sachsen waren. Weil ich die Demokratie liebe, liebte ich auch die Sachsen, denn dort hat ten die Menschen, in Leipzig, für die Demokratie gekämpft. Die
Männer wurden mir irgendwie doch sympathisch und ich bewunderte sie. Ich lächelte.
"Was grinst der denn so?" fragte einer der Männer. "Guten Tag", sagte ich. Ich wollte sie ansprechen und die Freude mit ihnen teilen. Es freute jeden zu sehen, wie die Ostdeutschen sich so frei im anderen Teil ihres Vaterlandes bewegen könnten. Ja, sie hatten die Freiheit gewonnen. "Wenn der mich weiter so anglotzt,
schmeiße ich ihn gleich raus", sagte der junge Mann in Bomberjacke. Oh Gott, ich habe einen Fehler gemacht! Ich hätte nicht lächeln sollen.
„Eh, Fidschi, was machst du bei uns in Deutschland?" Damit meinten sie mich, denn die meisten Ostdeutschen glauben, alle Asiaten kommen aus der Fidschiinsel, und wissen nicht einmal, das die Indianer doch aus Asien kommen und nicht umgekehrt.
„Ich studiere hier in der DDR.
„Du, studieren? Na was denn? West- Geld vielleicht?
Noch nie zuvor hatte man mir so eine schwierige Frage gestellt. Ich musste sehr lange überlegen. Wäre ich ehrlich gewesen und hätte gesagt, dass ich Germanistik in Leipzig studierte, wäre es zu arrogant und zu intellektuell gewesen und das hätte als eine neue Provokation aufgefaßt werden können. Da sah ich plötzlich
das Bild in dem Abteil, ein Werbebild von Kitekat.. Ja warum war ich nicht sofort darauf gekommen? Die Deutschen sind doch wegen ihrer Tierliebe in der ganzen Welt berühmt.
„Ich im Zoo studieren. Elefanten", sagte ich schnell. Ich wusste nicht, warum ich die Elefanten gewählt hatte, ich hätte auch Schäferhunde oder Schwäne studieren können.
„Was? Elefanten? Diese Riesen? Ach was", sagte der Ältere von den vieren, der eine Krawatte mit der Farben schwarz- rot- gold trug, "wo kommst du her? Aus Indien oder Afrika?
„Ich aus ...Nepal. Weit", log ich. Ich konnte nicht anders. Ich liebe zwar meine Heimat, aber bei mir zu Hause gibt es ja zu wenig Elefanten. Sind wegen des Krieges fast ausgestorben.
„Wo ist das?
„Himalaya. Große Berg von ganzen Welt. Mein Opa immer die Europäer den Weg zu Himalaya zeigen. Und sie meinem Opa Geld geben. Und ich dann studieren.
„Nach der Währungsunion möchte ich auch mal hin. Ich will auch mal hochklettern auf dem Himalaya." sagte der eine.
„Warum studierst du Elefanten? Gibt es sie nicht bei euch?" fragte der Jüngere.
„Oh, bei uns viele Elefanten. Ich habe fünf, mein Opa haben neun... Aber meine Elefanten sehr lieb. Ich habe Mama Elefant und Papa Elefant und drei Elefantenbaby. Doko, Karu und Moru und Moru zwei Jahre alt, mein Darling.
„Aber, warum studierst du hier bei uns in Deutschland Elefanten, wenn es bei euch so viele gibt?
„Elefant im Zoo sehr gut Disziplin. Ich Disziplin für Elefant studieren.“
„Siehst du, überall wird unsere Disziplin hochgeschätzt. Selbst im Urwald", sagte der Alte mit der Krawatte und wandte sich neugierig zu mir: "Aber sag mal Kleiner, was fressen die Elefanten so, ist das nicht zu teuer, einen Elefanten zu ernähren?“
„Sie immer Gras essen, kein Geld... Und sie arbeiten im Wald sehr fleißig.“
„Und die Babys, was fressen die da? Können sie auch arbeiten?" fragte der Junge mit der Bomberjacke.
„Nein, Moru nicht arbeiten. Moru warten auf mich. Ich komme zurück und lehren Moru Disziplin, dann Moru gut arbeiten. „Viele von euch studieren Elefanten hier?" wollte einer wissen. „Nein, nur zwei...", log ich. Persönlich hatte ich noch keinen Nepalesen in der DDR gesehen.
„Es sind relativ wenig hier, bei uns", sagte der Alte. „Aber was anderes, wie kriegen die Elefanten ihre Kinder?" fragte einer.
„Elefanten sind sehr klug, nicht Krieg mit ihrer Kinder..." stellte ich mich dumm an.
„Nein, er meint nicht Krieg machen. Sondern lieben, wie Elefanten Liebe machen?" korrigierte der Jüngere.
„Ah, sehr interessante Frage...", sagte ich nachdenklich, um Zeit zu gewinnen, denn ich selbst wusste auch keine Antwort. Ich hatte Elefanten auch nur im Zoo gesehen. Nach ein paar Sekunden hatte ich die Antwort gefunden und fuhr fort: "Die Elefanten immer schämen, nicht zeigen, wie sie bum bum machen. Aber alte Menschen erzählen, Elefantenmann und Elefantenfrau suchen ein Gefälle. Die Elefantenfrau stehen unten, und lehnen die Schultern an einen großen Baum und Elefantenmann laufen schnell von oben und springen auf seine Frau. Und wenn der ganzen Wald wackeln, dann weiß man, dass die Elefanten bum bum machen..." Ich schämte mich, die Elefanten so blöd darzustellen, aber ich hatte gar keine Wahl. Ich hatte doch angegeben,
ich studiere Elefant und außerdem wollte ich nicht rausgeworfen werden.
„Ich habe auch gehört, sie machen es im Wasser...", sagte einer.
„Ja, auch, aber bei uns auch im Wald... Und anders" sagte ich.
„Na, klar", stimmte der Alte zu, "jeder macht das anders. Du machst es auch nicht wie ein Neger oder?
„Sie lachten und unterhielten sich mit mir, erzählten mir von ihren Haustieren, von Hund, Katze, Goldfisch und der einer hatte einen brasilianischen Papagei. Ich versuchte mich an die Geschichten über Elefanten, die ich als Kind gelesen hatte, zu erinnern. Auch von den Hängebauchschweinen erzählte ich.
Langsam hielt der Zug an. Endlich war ich in Leipzig angekommen.
„Tschüss", sagten sie. Sie fuhren weiter.
„Wiedersehen, ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg in einem neuen Deutschland...", sagte ich, und dabei hatte ich vergessen, das ich gebrochen Deutsch hätte sprechen sollen. Aber es fiel ihnen nicht auf.
„Viele Grüße an Moru, wenn du zu Hause bist" sagte der Jüngere mit der Bomberjacke.
„Moru?" Ich war erschrocken, hatte beinah vergessen, was Moru heißen sollte. "Ja, mein Elefantenjunge. Ja Moru, der hat mir das Leben gerettet.
„Ich sah, wie ein Zug von dem Gleis nebenan langsam abfuhr und hörte junge Menschen singen und rufen: " Deutschland, Deutschland...". Wahrscheinlich spielte an diesem Tag die Oberliga.
Aber wohin der Zug fuhr, wusste ich nicht.
Ich dachte nur noch an Moru, den kleinen Elefanten...

1 Kommentar:

  1. DAs war eine sehr schöne Geschichte. Da lernt man die Einheit mal aus einer ganz anderen Perspektive kennen.

    Kann ich mehr solche Geschichten lesen?

    Elke

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