Donnerstag, 30. September 2010

Andreas Spoo: Die Geschichte von Girolfe



Wie ein Schmetterling die Freude zurückbrachte


Einst lebten an der Grenze zwischen Savanne und Steppe das Volk der Giraffen und das Volk der Wölfe.
Vor undenklichen Zeiten hatten sie friedlich beisammen gelebt. Das einzige Wasserloch weit und breit war ein beliebter Treffpunkt gewesen zwischen beiden Völkern, an dem sie miteinander sprachen, lachten, tanzten und sangen.

Doch irgendwann - niemand konnte mehr sagen, warum eigentlich - waren sich Giraffen und Wölfe Feind geworden. Sie mieden sich, wo sie nur konnten.

Wo sie es nicht konnten, war das Wasserloch.
Nur: Was früher ein lebendiges und fröhliches Beisammensein gewesen war, wurde nun zu einem Belagern und manchmal auch zu mehr. Es kam zu Streitereien, ja zu Raufereien und gar Verletzte hatte es schon auf beiden Seiten gegeben.

Die Ältesten der Völker waren über diesen Zustand entsetzt. Wie sehr sehnten sie sich nach den friedlichen Tagen ihrer Väter - doch wie sollten sie je wieder dorthin gelangen?
Niemand von ihnen wagte es, einen Vertreter zum anderen Volk zu entsenden. Weniger aus Furcht, diesem könnte etwas zustoßen, sondern vielmehr aus Angst, es könnte als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden. Und keiner wollte sein Gesicht verlieren: Was hätte das für ein Getratsche im eigenen und für Gelegenheit zu Spott beim anderen Volk gegeben!

Eines Tages nun kam ein Schmetterling des Wegs geflogen.
Da er müde war und auch durstig, ließ er sich am Wasserloch nieder.
Kaum hatte er seine müden Glieder ausgestreckt und sich am kühlen Naß erfrischt, da kamen von verschiedenen Seiten Giraffen und Wölfe angetrabt.
"Oh," dachte der Schmetterling, "ich kriege Gesellschaft, wie schön!"

Als die Giraffen und Wölfe am Wasserloch angekommen waren, sahen sie den fremden Gast und hießen ihn willkommen.
Dies war das erste Mal seit langer Zeit, daß hier an diesem Ort freundliche Worte gewechselt wurden.
Das ließ die Führer der Völker aufhorchen: "Moment mal," werden sie gedacht haben, "hier und jetzt haben wir keinen Groll im Herzen. Womöglich ist das die Chance, mit den anderen ins Gespräch zu kommen!"
Und siehe da, aus dem Volk der Giraffen und aus dem Volk der Wölfe trat je ein Mitglied hervor - die Tapfersten, die auch schon bei den Raufereien mitgemacht hatten - und ging auf den anderen zu.

Sprach der Wolf: "Uns nervt es schon lange, was hier abgeht. Wie gerne hätten wir den Frieden, wie ihn die alten Lieder besingen, zwischen euch und uns. Doch wissen wir nicht, wie wir es anstellen könnten, mit euch ins Gespräch zu kommen."

"Nun, das ist ganz einfach", sagte die Giraffe, "hört auf damit, abends um unser Lagerfeuer zu schleichen, das ist uns nicht geheuer!"

"Na, was fällt euch denn ein, ihr Langhälse, wollt ihr uns etwa Vorschriften machen?", fauchte der Wolf, "Wenn ihr eure Nasen nicht immer so hoch tragen würdet, dann hätten wir keine Probleme!"

"Oh ha!", dachte der Schmetterling, "Ich glaube, hier sprechen zwei miteinander, die es noch nicht so recht verstehen, auf die Musik hinter den Worten zu lauschen. Mal sehen, ob ich ihnen etwas schenken kann!"
Und noch während die Giraffe ihrerseits auf den Wolf reagierte - ihre Worte will ich an dieser Stelle aus Gründen der Achtsamkeit lieber verschweigen - flog er zum Wolf, setzte sich ihm auf die Schulter, ganz nahe beim Ohr, und flüsterte:

"Hallo Wolf, mö-"
"Verdammt, hast du mich erschreckt! Wer bis du?"
"Ich möchte dir ein Geschenk machen."
"Ein Geschenk? Jetzt? Was soll 'n das sein?"
"Ich würde dir gerne ein Lied singen, das davon handelt, wie ich die Giraffe verstanden habe."
"Wie du die Giraffe verstanden hast? Ja glaubst du denn, ich habe Tomaten in den Ohren? Die wollen uns in die Pfanne hauen, das ist doch sonnenklar!"
"Das klingt so, als ob du sauer wärst, weil du Anerkennung für deine Art des miteinander Redens brauchst."
"Na, was denkst denn du!?"
"Ich bin überzeugt davon, daß du alles, was du tust, daran mißt, ob es dir Freude macht. Und eine solche Einstellung schätze ich sehr, denn ich liebe es, das Leben zu verschönern."
"...Aha. Und deswegen möchtest du mir wohl auch dieses Lied singen, stimmt's?"
"Oh, ich freue mich, daß du das verstanden hast!"
"Mmh, na gut, ich laß' es auf einen Versuch ankommen. Leg' los!"

Kaum hatte der Wolf die letzten Worte gesprochen, da begann der Schmetterling auch schon zu singen. Und - wow! - das war eine Melodie! So etwas hatte der Wolf noch nicht gehört. Ihm wurde ganz anders zumute, auf eine Weise, die er bisher noch nie erlebt hatte.
Anfangs glaubte er ja, er würde krank - so friedlich und glücklich fühlte er sich auf einmal. Dann merkte er, daß das, was er bisher als Angriff der Giraffe verstanden hatte, wie Worte des Herzens klang.
Er faßte allen Mut, den er besaß, zusammen und sprach: "Du, Giraffe, verstehe ich dich richtig, willst du mir sagen, daß ihr Angst empfindet, wenn wir uns abends in der Nähe eures Lagerfeuers aufhalten, weil ihr Sicherheit braucht?"

"Na Gott sei Dank hast du das mal kapiert", sagte die Giraffe, "ich glaubte schon, du hättest Karotten in den Ohren. Was soll das eigentlich, warum macht ihr das?"
"Das habe ich dir doch eben schon gesagt. Wir machen das, weil ihr eure Nasen - "

"- Moment, Moment", flüsterte der Schmetterling, "so hast du es schon einmal versucht, der Giraffe zu erklären. Ich fürchte, sie wird es auch beim zweiten Mal anders verstehen, als du es dir wünschst."
"Na, was soll ich denn machen - so red' ich nun mal! Könntest du nicht ...?"
"Was?"
"Ähm, das ist mir jetzt ein bißchen peinlich, aber, äh, könntest du ihr nicht sagen, wie ich es meine, so, daß sie es versteht?"
"Möchtest du, daß ich zu ihr rüberfliege und ihr dein Lied vorsinge?"
"Ja, bitte!"
Und schon schwebte der Schmetterling hinüber zur Giraffe und setzte sich ihr auf einen Höcker, ganz nahe beim Ohr.

"Du, Giraffe?"
"Nanu, wer bist denn du?"
"Ich möchte dir gerne ein Lied singen."
"Ein Lied? Spinnst du? Siehst du denn nicht, daß ich hier aufpassen muß?"
"Hast du Angst, in einen Schlamassel zu geraten, wenn du nicht genau Acht gibst auf das, was der Wolf zu dir sagt?"
"Ja, allerdings! Ich glaube, die haben's auf uns abgesehen!"
"Das glaube ich auch - nur in einem anderen Sinne als du."
"He?"
"Ich habe den Eindruck, der Wolf möchte sich mit dir verständigen. Und genau davon soll auch mein Lied handeln."
"Verständigen? Lied? Puh, ich bin jetzt ziemlich durcheinander! Bitte, vielleicht hilft mir dein Lied ja, wieder zu mir zu kommen."

Und der Schmetterling sang.
Die Melodie war einfach, klar und rein und sie berührte die Giraffe tief in ihrem Innersten, an einem Ort, den sie mit dem Licht ihres Bewußtseins schon lange nicht mehr aufgesucht hatte.
Und nun verstand sie.
Ganz aufgeregt, in einer Mischung aus Freude und Traurigkeit fragte sie: "Wolf, verstehe ich dich richtig: Seid ihr traurig darüber, in der Nacht ohne die Wärme eines Feuers zu leben, weil ihr Gemeinschaft braucht? Und sagst du mir, wie wichtig dir Gleichwertigkeit und Achtung sind?"

Als der Wolf das vernahm, hüpfte sein Herz vor Freude. Wie sehr, wie lange schon hatte er sich danach gesehnt, auf diese Weise gehört und verstanden zu werden!
Ihn, seine Artgenossen und ebenso die Giraffen ergriff ein stiller süßer Schmerz. Ihre Gesichter entspannten sich und ihre Augen begannen hell zu leuchten. Und da war noch mehr: Wer genau hinschaute - und der Schmetterling war ein guter Beobachter - , der sah silberne Tränen in ihren Augen schimmern.

Für eine ganze Weile war nichts weiter zu hören als Stille.
Danach brauchte es weniger als zwanzig Minuten, bis Giraffen und Wölfe eine Idee entwickelt hatten, von der sie sich alle Frieden und Freude versprachen.

Dies war der Beginn einer neuen Zeit.
Und sie fing damit an, daß sie gemeinsam feierten. Sie erinnerten sich all' der Lieder, die sie zu früheren Zeiten gesungen hatten, und hier und heute erklangen sie wieder und wurden wieder wahr.
Das war ein Singen, ein Tanzen und ein Lachen!
Und manchmal auch ein Weinen. Denn wer etwas so Schönes erlebt und beim Erleben gewahr wird, wie schmerzlich lange er dieses Schöne vermißt hat, der weint. Vor Trauer und vor Freude.

Und an diesem Abend, in der Zeit, als farbenfrohe Raketen den Himmel erleuchteten, wurde ein neues Lied geboren.
Dieses Lied besang den heutigen Tag, und es begann damit, wie sich ein Schmetterling, müde und durstig, am Wasserloch niederließ.
Und damit es einen Namen bekommen konnte, fragten Giraffe und Wolf am Lagerfeuer den Schmetterling: "Sag mal, wer bist du eigentlich und wie heißt du?"
"Ich bin die, die ich bin, und so heiße ich auch."
"...???..."
"Worte und Namen legen uns fest und nehmen uns etwas von dem, was wir tatsächlich sind. Wenn ihr eurem Lied einen Namen geben wollt, so bitte ich euch, nennt es: Die Geschichte von Girolfe."





Donnerstag, 16. September 2010

Petra Urban: Süße Milch


Als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte er warme Milch mit Honig getrunken. Ihre Freundin hatte ihr unsanft in die Seite gestoßen. „Und das will ein Mann sein!“, hatte sie geflüstert, „Pfui Teufel!“
Er hatte allein am Tisch gesessen und schien die Bemerkung nicht gehört zu haben. Plötzlich aber hatte er sich umgedreht und sie angelächelt.
Am nächsten Tag war sie ihm wieder begegnet, vor dem Bahnübergang. Als sich die Schranke öffnete, war sie einfach neben ihm hergelaufen, hatte ihn gefragt, ob er zu Besuch sei, und sich bemüht, Schritt mit ihm zu halten. Er hatte ihr von der Stadt erzählt, in der er lebte, von der Villa mit dem Garten und von seinen Eltern, die ihn hierher aufs Land zu seinem Onkel geschickt hatten, weil sie meinten, es wäre im Moment besser für ihn. Sie hatte ihm von ihrer Mutter erzählt, die Schneiderin war und mit der sie, seit dem Tod des Vaters, allein lebte.
Vor dem Tor des Gutshofes hatte sie ihm verlegen lächelnd die Hand hingestreckt und gefragt, ob er sie am Abend zum Tanz begleiten würde. Erstaunt schaute er sie an, mit einem Blick, der nicht zu verstehen schien. Sein Zögern aber machte ihr Mut. „Ich hole Sie um sieben Uhr ab“, hatte sie gesagt und war davon gerannt.
Am Abend trug sie ihr blaues Seidenkleid, Kniestrümpfe und eine weiße Strickjacke. Unterm Arm klemmte eine alte Handtasche ihrer Mutter.
„Guckt mal, die bringt den Krüppel mit!“, brüllte jemand, als sie den geschmückten Festsaal betraten.
„Für solche wie den ist hier kein Platz!“, schrie ein anderer.
Sie hatte die Stimme sofort erkannt. Es war der Sohn des Fleischers, der seit Kurzem eine braune Uniform trug. Schützend hatte sie sich vor den Rollstuhl gestellt. Aber irgendwer schubste sie zur Seite, spuckte aus vor ihr und brüllte ihrem Begleiter ein dröhnendes „Heil Hitler!“ ins Ohr.
Eilig hatten sie den Saal verlassen, waren durch den Abend geirrt, erschrocken und schweigsam zuerst, später dann hatten sie ihre Worte wiedergefunden, am Bach unter den Bäumen gesessen und über die Zukunft geredet.
Sie ging ins Schlafzimmer hinüber. Er lächelte im Schlaf. „Du wirst gesund, mein Liebster, ich weiß es, alles wird gut!“, flüsterte sie.
Auf der Straße schellte der Milchmann. Sie nahm die verbeulte Kanne vom Schrank, das Geld, das abgezählt daneben lag, und lief hinaus.
„Da habt ihr den verdammten Krieg überstanden“, sagte der Mann, „und jetzt das. Wird er wieder gesund werden?“
„Ja“, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Von allen Seiten strömten jetzt Frauen herbei, viele von ihnen verwitwet, alt und krummbeinig, in verschlissenen Kitteln, dunkle Kopftücher im Haar. Nur wenige waren jung wie sie, gingen mit federnden Schritten, die Milchkannen hin- und her schwenkend.
Sie wusste, alle diese Frauen würden ihr hinterher schauen und mitleidig die Köpfe schütteln.
Sie ging ins Schlafzimmer und blieb vor seinem Bett stehen. „Ich habe dir frische Milch geholt“, sagte sie leise und beugte sich zu ihm hinab, um seinen Atem zu spüren.
Damals, in jener Nacht am Bach, hatte er ihr erzählt, dass er bald studieren würde, um Rechtsanwalt wie sein Vater zu werden und für Gerechtigkeit zu kämpfen.
„Wie will der denn kämpfen, ohne Beine?“, hatte ihre Mutter gesagt und abgewinkt.
Und dann war plötzlich Krieg gewesen.
„Der junge Herr ist in die Stadt zurückgekehrt“, hatte man ihr auf dem Gutshof gesagt und ihr die Wange gestreichelt.
Sie hatte ihm Briefe geschrieben, aber er hatte nicht geantwortet. Einmal war sie sogar hingefahren, heimlich, mit dem Zug, ohne jemandem davon zu erzählen, aber das Haus mit dem Garten hatte leer gestanden.
Sie hatte angefangen, ein Tagebuch zu schreiben. Nur für ihn, weil sie wusste, dass er irgendwann kommen und es lesen würde. Und er war gekommen. Mitten in der Nacht. Sie war aus dem Schlaf hochgeschreckt, weil er vor ihrem Fenster ihren Namen gerufen hatte. Im Schlafanzug war sie hinaus auf die Straße gelaufen. Ihre Mutter hatte die Hände vor der Brust zusammengeschlagen. „Willst du uns ins Elend stürzen, Mädchen?“
„Er bleibt!“, hatte sie gesagt und ihn im Keller versteckt, hinter den Regalen mit den Einmachgläsern. Lange, bevor er gekommen war, hatte sie diesen Platz für ihn hergerichtet.
Zwei Mal waren Männer aus der Stadt da gewesen, mit einem schwarzen Auto vorgefahren, hatten nach ihm gefragt, ihr gedroht, aber sie hatte die Nerven bewahrt, die Männer sogar durchs Haus geführt. Das Versteck war unentdeckt geblieben.
In den Nächten, wenn das Dorf schlief, war sie zu ihm hinunter gegangen, hatte ihm Milch mit Honig gebracht, erzählt, was in der Welt passierte, welche Farbe der Himmel hatte und wie die Bäume dufteten. Dabei hatten sie sich an den Händen gehalten, Gebete in die Dunkelheit geflüstert und über ihre Zukunft geredet.
Sie stand immer noch vor ihm, die Milchkanne in der Hand. „Schlaf nur, mein Liebster, ich weiß, dass du gesund wirst.“ Dabei strich sie ihm übers Haar und küsste ihn zärtlich. Dann ging sie in die Küche, die Milch zu wärmen.


(21,7 P.)

Dienstag, 14. September 2010

Sabine Möhlmann: Von Krieg und Frieden

"Krieg ist schrecklich!" denke ich und greife in die Chipstüte. Gebannt starre ich auf den Bildschirm. Bilder einer zerstörten Stadt. Vor Spannung bleibt mein Mund offen stehen, ich zerdrücke die Chips in der Hand. "Furchtbar…" denke ich und stecke die Krümel in den Mund, kaue darauf herum.


Gefangene Soldaten werden gezeigt. Verletzt. Einer blutet an der Stirn, der andere kann nur mit Schwierigkeiten aufrecht sitzen und brabbelt vor sich hin. "Oh Gott!" Angenehme Schauer des Entsetzens laufen mir den Rücken hinunter. Ich fühle mit, leide mit, fühle, dass ich noch lebendig bin - und greife zu meinem Bier, trinke einen Schluck.

Journalisten werden befragt: "Welche Konsequenzen hat die Folter auf die Psyche der Soldaten?" Kalte Schauer des Entsetzens machen sich breit. Es kribbelt auf meinen Armen, meiner Haut. "Mein Gott! Die armen Soldaten!" flüstere ich. Meine Muskeln und Sehnen sind gespannt – auf einmal bin ich froh, hier zu sein, in unserem Land, wo Frieden herrscht… Mein Herz rast – ich kann meine Augen nicht von den furchtbaren Bildern abwenden und lausche dem grauenvollen Gebrabbel des Soldaten im Hintergrund.

"Welche Auswirkungen hat der Krieg auf uns?" Experten werden befragt. "Können wir noch beruhigt in Urlaub fahren?"

Auf einmal bin ich nicht mehr so mitfühlend und ergriffen! Ich knalle die Bierflasche auf den Tisch. Ich werde laut, springe auf und rufe: "Den Urlaub habe ich mir verdient! Ich habe ein Recht darauf!" Panik steigt in mir auf.

Kämpferisch hebe ich die Bierflasche in die Luft! "Scheiß Krieg!" rufe ich. " Die sollen ihre Probleme lösen, ohne uns da mit rein zu ziehen!"

Auf einmal merke ich, dass der Experte weiter redet. Ich habe nicht mitgekriegt, was er gesagt hat. Also setze ich mich aufs Sofa und lausche angestrengt, um noch die ein oder andere Information mitzukriegen.

"Es ist ein Blitzkrieg. Im Sommer ist alles vorbei…!" Beruhigt lehne ich mich zurück. "Die meisten Urlaubsziele sind nicht betroffen…!"
"Guuut!" denke ich.
"…es ist jedoch damit zu rechnen, dass weltweit die Ölpreise steigen werden – auch bei uns!"

Sauer stehe ich auf, schalte den Fernseher aus, schmeiße die Fernbedienung in die Ecke und denke: "Scheiß Krieg!"



(21,4 P.)

Mittwoch, 8. September 2010

Dirk Köster: Tänze auf Vulkanen (u.a.)


Wir leben in harten, ja panischen Zeiten.
Ereignisse, die sich rapide verketten,
verursachen Not und gewaltige Pleiten,
bloß: Wetten, dass Banken und Börsen drauf wetten?

Dann sucht man nach Erden, die seltener werden,
braucht Kohle, auch Öl von brutalen Despoten.
Wir sitzen auf Bomben, die jeden gefährden.
Die strahlende Gegenwart zählt ihre Toten.

Zum Selbstmord entschlossene, schlichte Gemüter
und böse Fanatiker lassen es krachen.
Ein Laden ist weg, doch nun lagern noch Hüter.
Die Freiheit geht ein, wenn wir alles bewachen.

Diverse Politiker gleichen Kopien,
verstrickt zwischen Lügen und zahlreichen Zwängen.
Die Ärmsten verenden und können nicht fliehen.
Ihr Elend rangiert auf den hinteren Rängen.



es sind die menschen

es sind die menschen
die sich nach liebe sehnen
nach geborgenheit und mitgefühl
die sicher und sorgenfrei leben möchten
in einer freien und friedlichen welt
in einklang mit sich selbst und der natur
heute genauso wie in der zukunft
es sind die menschen
die ihre zeit in ruhe genießen wollen
ohne dabei gestört zu werden
von irgendwelchen streithähnen
gegen die sich zur wehr setzen
notfalls anwälte einschalten
oder die fäuste sprechen lassen
es sind die menschen



Feldverweis

(13. Teil meines Sonettkranzes „Standortbestimmung“)

Die Welt pulsiert, wir treten auf der Stelle.
Der Fortschritt ist ein zweischneidiges Schwert.
Was manchen nützt, bleibt anderen verwehrt.
So gibt es regelmäßig aktuelle

Konflikte wegen Geld und Öl und Glauben.
Das Pulverfass steht mächtig unter Dampf.
Bei Unterjochung wie gerechtem Kampf
verdrängen dunkle Falken weiße Tauben.

Wir hatten ehedem brutal gespürt,
wie Heil und Hitler auseinander klaffen,
dass Krieg in üble Katastrophen führt.

Doch auch noch heutzutage setzt man stur
darauf, dass deutsche Waffen Frieden schaffen,
und unerbittlich tickt die große Uhr.



(21,0 P.)

Samstag, 4. September 2010

Karin Szivatz (Österr.): Rosensterben



Rosenblüten
Erwachen taufrisch
Am Morgen
Des Kriegsbeginns
Und sterben
Farbenfroh,
Noch mit Tautropfen an ihren Rändern



(21,0 P.)