Dienstag, 31. Mai 2011

Hanna Fleiss, Shukows Gefechtsstand


Ostwinde wüten, weit geht der Blick

Übers flache Oderland. Wiesen, trunken

Von Blut. Staubkaskaden, zerrissene

Menschenleiber, verweigernder Himmel.

Spurenlos heut liegt die grüne Ebene.

Erbarmungslos die Mittagssonne,
Auf der Höhe wogende Wälder.

Hinab führt mein Weg, ins nahe Dorf,

Zu Gräbern, ohne Schrei, ohne Antwort.

Montag, 30. Mai 2011

Hanna Fleiss: Beschmutzt



Zahlen, Zahlen,
Ich lese Zahlen. Schon einmal las ich
Zahlen: vor jüdischen Massengräbern
In Weißrussland. Jede Ziffer
Ein Mensch, ausgelöschtes Leben,
Das Vermächtnis der Toten.


Tod Israels Feinden,
Schreits in die Welt. Die Dreijährige,
Von Granaten getötet, von Hunden
Zerrissen – Feindin? Die tote Mutter,
Die schreienden Kinder – Feinde?
Die Sterbenden auf Straßen, in Armen
Der Hilflosen – Feinde?


Schon einmal
Las ich Zahlen: vor jüdischen
Massengräbern in Weißrussland.
Darf ich mich noch unbefleckten Herzens
Vor ihnen verneigen?

Sonntag, 29. Mai 2011

Hanna Fleiss: Denkstein


Hingesprochen,
Dass Ängste so wichen
Aus den Zeiten, unterm Schrei
Aller Grabkreuze der Welt.


Jähes Krampfen des
Steins im Herzen. Gewissheit, der
Versprochne Frieden überdauert nicht
Den Traum von ihm.


Wo Tote schlafen, sanftes
Schwingen des friedlich Gedachten.
Ach, erwachte ich dereinst
Nach den Kriegen.

Samstag, 28. Mai 2011

Thom Delißen "Retours"


Im August 2010
Der Wind packte den Wohnwagen auf dem kleinen Feld bei dem Städtchen Barcieux, einem Vorort von Paris, und ließ ihn, so schien es zumindest der neunjährigen Suna, zittern wie einen jungen Hund.
„Baba erzähl weiter!“
Die Großmutter warf einen besorgten Blick aus dem kleinen Plastikfenster.
„Solch eine Nacht, kleine Suna … mmh, das war es damals auch. Weißt, anfangs hatten wir uns nichts gedacht. Sie schienen sich ja nur um die Jiddisch-Leut zu kümmern.“
Sie zog das blaue gehäkelte Schultertuch enger, als ob sie frieren würde, nahm einen Schluck Tee aus der alten Tasse mit den vielen abgestoßenen Ecken.
„Porajmos, das Verschlingen hat man es später genannt. Oui.“
Sie streichelte Suna über die schwarzen Haare.
Das Mädchen sah ihre Oma neugierig an. Sie meinte in ihren Augen zu erkennen, wie sie in ihren Gedanken weit zurück flog, in die Zeit. Die Zeit, von der sie so selten sprach.
Suna drängte: „Bitte Baba!“
„Ach, das ist nichts für kleine Mädchen vor dem schlafen gehen.“
Suna zog einen Flunsch. Die Baba sah in die Runde, 3 Paar Kinderaugen hingen an ihren Lippen. Sie seufzte.
„Als der Mann mit dem Bärtchen an die Macht kam, da kam mit ihm unser Unglück. Es war eine Nacht wie diese. Oui. Wir hatten am Abend zwei Igel gebraten, ein wenig Salat aus dem Wald dazu. Papa hatte Brot im Dorf besorgt. Das hat geschmeckt, sag ich euch!“
Rupeno und Jos, die beiden Burschen, waren sehr still. Sie wussten um die Geschichte der Sinti und Roma, damals im besetzten Frankreich. Die Baba erzählte weiter.
„Papa hatte mir erzählt, die kleinen Igel, die wir in nasse schwere Erde gepackt hatten, würden gar nichts spüren, von der Glut, in der wir sie legten. Ganz im Gegenteil, sie würden einschlafen, sich sogar freuen, dass sie mit ihrem Körper etwas gegen unseren Hunger tun könnten.“
„Aber …“ begann Suna mit einem Einwand.
„Psch!“ winkte die alte Frau ab.
„Sie haben jedenfalls ausgezeichnet geschmeckt, mit den frischen Baguettes. Ich durfte sogar vom Wein trinken, mir wurde ein bisschen schwindelig.“
Wieder nahm sie einen Schluck von dem Tee, der schon lange nicht mehr dampfte.
„Den ganzen Abend hatten wir auf meine älteren Brüder gewartet, Papa hatte sie alle drei in die Stadt geschickt, zu sehen, ob sie nicht einige Nägel für die Hufe unseres treuen Kasimir, einem sehr alten Schimmel, der immer brav unseren Wagen gezogen hatte, besorgen könnten. Doch sie kamen nicht. Nie mehr sah ich sie wieder.“
Sie nickte traurig und Suna hielt den Atem an.
„Irgendwann stand euer Urgroßvater auf, trat mit seinen schweren Stiefeln gegen das Holz im Feuer, dass die Funken nur so stoben.
Sorgen hat er sich gemacht, wütend mumelte er Verwünschungen, die ich nicht verstand.“
„Sie waren in die Stadt gegangen, deine Brüder? Hat es denn im Dorf nichts gegeben?“ fragte Rupeno.
Die Baba schüttelte den Kopf. „Nein im Dorf fand an diesem Tag ein Fest statt, doch nicht deswegen gab es keine Hufnägel. Es war …“ Sie zögerte.
„Es war, weil sie uns nicht ausstehen konnten, keiner von denen. Und der Mann mit dem Bärtchen hat ihnen noch Mut gemacht. Immer. Wir wären nichts wert, Gesindel, Herumtreiber, Gewohnheitsverbrecher, Gemeingefährliche. Ich habe einmal mitbekommen, wie sie meinen Vater und meine Brüder, sie wollten damals, ein paar Monate vor diesem Abend, nur ein wenig Mehl kaufen, aus einer Gemeinde prügelten. Mich ließen sie nur zufrieden, weil ich noch so ein kleines Mädchen …“
Sie brach ab. Eine dicke Träne rann ihre faltige Wange hinunter. Suna beugte sich zu ihr hinüber und wischte sie sanft ab.
„Du brauchst nicht weiter erzählen, wenn du nicht magst, Baba.“ sagte sie und schluckte schwer. Sie wollte doch so gerne hören, wie es weiterging!
Nun hab’ ich schon begonnen.“
Die Oma lächelte. „Ist schon so lang her, mein Mädel. Schon so lang.“
Sie richtete sich ein wenig auf, holte Atem, um weiter zu erzählen.
“Euer Urgroßvater, mein Vater, Mihai hieß er, trat also gegen das Holz, die Funken stoben und flogen in die Nacht, wo sie sie im Ungewissen verloschen. Doch seine Söhne hat es nicht zurückgebracht. Ich habe es damals nicht verstanden, versteh es heut noch nicht. Niemand hat je erfahren, was aus ihnen geworden ist.“
Wieder wandte sie ihren Blick zu dem Fenster des Campingwagens. Bltze zuckten.
„Ein Gewitter gab es damals auch, ja. Ich hatte Angst, aber Papa hat mich nicht getröstet, er wartete auf seinen Andrej - auf Niko und Luka. Zornig war er.“ Sie nickte. „Und Mama war damals schon so lange tot, dass ich mich ihrer nicht erinnern konnte. Schließlich kroch ich in mein Schlafeck unter die Decke. Bei dem Donner fürchtete ich mich zwar, doch wenigstens war es trocken, in unserem Wagen.“
Sie wandt ihre Finger zu einem Knoten. Draussen setzte prasselnder Regen ein.
„Auch damals regnete es, wie aus Kübeln. Dies Geräusch auf dem Holzdach hat mich in den Schlaf gewiegt. Und der Wein tat das seine.“
Sie lachte leise, ein trauriges Lachen.
„Deswegen durfte ich ihn wohl trinken. Ich schlief ein, obwohl ich mir schreckliche Sorgen machte, um die drei.“
Sie senkte den Kopf. „Aufgewacht bin ich von einem furchtbaren Poltern an der Tür. Erst meinte ich, es seien die Burschen, die endlich heingekommen waren. Doch in der Dämmerung, die schon angebrochen war, konnte ich erkennen wie mein Vater beschwörend den Zeigefinger an die Lippen legte.
Wütende, laute Stimme klangen vor dem Wagen. Dann waren da plötzlich viele Männer, draussen. „Aufmachen! Polizei!“ haben sie gerufen.“ Die alte Frau ahmte die herrischen Rufe nach. „Plötzlich waren sie in unserem Wagen Sie schlugen meinen Papa, er hat sich nicht gewehrt. Wieder ließen sie mich nur zufrieden, weil ich noch so klein war.“
Ihre Finger krampften sich um die alte Tasse.
„Ich bin ohnmächtig geworden, so muss es gewesen sein. Denn als ich aufwachte, war da kein Papa mehr. Sie setzten mich mit vielen anderen aus unserem Clan, denn natürlich waren wir nicht alleine auf unserem Lagerplatz, in einen Zug.“
Ihre rechte Hand fuhr mit einer heftigen Bewegung auf den Tisch nieder.
“So. Genug für heute. Ihr geht jetzt schlafen!“
„Aber Baba!“ Suna war enttäuscht. Was ist dann passiert? Was passierte deinem Vater?“
Die Großmutter schüttelte den Kopf. „Das ist eine andere Geschichte. Vielleicht morgen.“
Suna erwachte gegen vier Uhr morgens. Sie hörte wütende Stimmen, draussen vor dem Wagen. Dann hämmerte jemand wild gegen die Tür. „Aufmachen! Polizei!“


Thom Delißen "GIER"


 
Ich schmier:
Gier
an jeden Supermarkt
an jede Bank
auf die Tresore der Konzerne
in
die große Leere
ihrer Köpfe
setze ich in Drei Dimensionen
die Millionen Toten
die sie generieren.

Leben!“
werd’ ich schmieren, -

doch sie werden lachen,
wenn die Uniformierten
mir den Garaus machen.

Freitag, 27. Mai 2011

Thom Delißen "Tanz der Magier"


Wabernd, wallend
wogt der Dunst
der Zeit
um gülden glänzendes
Behältnis,
nur aus Hall.
Schallend,
ohne Grenze,
weit, unendlich
in des Universums Gunst.
Gefasst
in irdne Schale
nur für das
momentane Jetzt
der menschlichen
Vergänglichkeit.
Die Magier,
angetan mit Tuch,
gewebt aus Neid und Macht,
tanzen mit
groteskem, blödem Zucken,
um das Behältnis
dieser Ewigkeit.
Doch nichts vom Wissen
dieses Lebens
können sie
mit ihren trüben Augen sehn,
nicht ein Fünkchen nur verstehen.
Gefangen hält sie
Ihre eigne Nacht,
blind sind sie,
taub auf jedem Ohr
und geben doch
als Weise und als Zauberer
den Weg
für diesen Erdball vor.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Thom Delißen "Frühling"


Mea culpa
Schwer
schägt Welle
an den grauen Strand.
Da, wo einst noch
Kinder Burgbaun spielten,
jetzt nur noch Gift
der Sand.
Der Himmel
wirkt so bleiern schwer,
ist von allen Vögeln leer,
Die Gischt ist braun,
die Fische tot,
keine Sonne scheint
auf diese Not.
Die Stille
hat uns zugedeckt,
gibt acht
dass nicht der geringste
Laut sich regt.
Die schwarzen Tropfen
fallen ohne Ton,
jedem Leben
ach zum Hohn.
Der Schöpfer, Henker
hat gesprochen.
Mensch, Du hast genug verbrochen!
Jetzt soll der Lauf
der Erde halten
solln Gram und Wut
mit Inbrunst walten,
des Schöpfers Zorn
das Ende sein.
Geduldet hat er
allzulang
des Menschen Tun,
nicht war ihm bang.
Doch schließlich
war das Maß dann voll,
er erhob sich, bebend,
voller Groll.
Ein Augenschlag,
ein Wimpernzucken nur
und von dem eitlen Wesen Mensch
blieb keine Spur.

Montag, 23. Mai 2011

Thom Delißen "Achten"


Achten sollt Ihr auf die
Haselnuss,
die schwarzen Spinnen,
Schnürstiefel.
Achten sollt Ihr auf die
glatten Birnen,
Verfälscher des Sonnenrades,
Ofenbauer.
Achten sollt Ihr auf die
Befreier im Gleichschritt,
die gestärkten Uniformen,
pompösen Architekten.
Achten sollt Ihr auf die
die Arbeitsvermittler,
die Beschützer,
Besseren.
Achten sollt Ihr auf die
Rattenfänger,
Rattenfänger,
Rattenfänger.

Sonntag, 22. Mai 2011

Thom Delißen "Tanzen"


Wagst
Du es?
Zu tanzen.
Frei.
Oder
gehst Du,
wie die Anderen
mit
im selben
alten
Schritt,
ab und an
den Arm
zum
Gruß
gestreckt?

Samstag, 21. Mai 2011

Hanna Fleiß, Hiroshima


Der einsame Blitz.
Himmelschreckend,
Wird gesagt. Die schönsaubere
Bombe.

Himmel brachen. Aufriss
Die gequälte Erde. Als Schatten
Verlosch, wens traf.
Das Pathos der Toten.

Blut
In den Schläfen,
Wachend, schlaflos. Einzig
Des Weltalls Schweigen.

Freitag, 20. Mai 2011

Hanna Fleiß, Begriffen fürs Leben


 Das Jahr Einundvierzig.
Da holte die Hebamme mich.
Die Schattenjahre. Nachtbomber,
Bunkertage und –nächte. Was ich begriff,
Begriff ich auf Lebenszeit.

Das Jahr Neunundneunzig.
Jetzt war ich richtige Deutsche.
Und Deutsche bombten in Serbien.
Da saß, vielleicht, in Belgrad ein kleines Mädchen
Im Keller. Mehr als die Wand beim Einschlag
Zitterte die Hand der Mutter.

Nun sollte ich stolz sein. Dass die da
Zitterten vor deutschen Bomben,
Im Halbjahrhundert das zweite Mal.
Nie wieder Auschwitz!, keuchte der Minister.

Das Jahr Zweitausendfünf.
Die Zeit hat mich eingeholt. Erdteile
Verschoben sich, Deutschland liegt jetzt
Am Hindukusch, Afghanistan
An der Spree.

Was ich begriff, begriff ich fürs Leben.
Und wenn ich gehe dereinst, geh ich
Mit nichts als dieser Gewissheit.

Donnerstag, 19. Mai 2011

Hanna Fleiss: danach


Die Welt schweigt.
Tonlos klagen
Die Toten.

Blutig
Das Wintergewölbe
Der Stadt. Die Trauer der Lebenden
Leise wie im Gebet. Die Mörder
Waschen sich die Hände.

Still ist es. Die Asche
Schweigt. Nirgendwo Scham. Glühend
Wie Eisen in der Esse über allem
Die Bitternis des Morgenrots.

Die Welt schweigt.
Tonlos schreien
Die Toten.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Hanna Fleiss: Deutsche Arbeiterfrau 1936-1945


Als sie deinem Mann endlich
Arbeit gaben nach sieben schrecklichen Jahren,
Zog kleines Glück ein in die Arme-Leute-Stube.
Da gabs wieder nen Happen im Magen,
Sonntags auch Kuchen mit Sahne,
Mal rausfahren an den Wannsee,
Damenwahl beim Ball verkehrt,
Das Nadelstrichkostüm, die Bluse
Mit Rüschen.

Durch die Arbeiterstraßen marschierten
Proleten in braunen Uniformen.
Dir taten sie nichts zuleide, du warst keine
Wie die Goldstein von nebenan.
Du warst ja eine von ihnen, von
Deutscher Rasse, von deutschem Blut.
Im Radio bellte der Führer.
Du fragtest dich nichts,
Deine Welt war wieder in Ordnung.

Der Alte, immer noch
Mit seiner Drückebergerstelle bei AEG,
Musste nicht an die Front.
Es hätte so schön sein können.

Wäre da nur nicht
Der Krieg, der verfluchte, gewesen.
Und als sie dir den Brief schickten,
Der Sohn gefallen an der Ostfront,
Weintest du nicht, du warst
Eine stolze Mutter in Schwarz.

Manchmal nur fragte die Enkelin
Nach dem Vater, das ging vorüber.
Sein Stahlhelmbild mit dem Hakenkreuz
Stand auf dem Vertiko. Der Held
Der Familie.

Und während der Alte schlief,
Wühltest du dich aus dem Bett,
Fielst auf die Knie, rangst die Hände.
Der Junge, mein Gott. Womit
Hattest du das verdient.

Dienstag, 17. Mai 2011

Angelika Zöllner: Kriegstage


regentrommeln
vor dem fenster fegt hoffnung hinweg
buntschuppig in klirrenden blättern
baumloses in stückwerk gepflügtes land
bricht in den letzten nähten auf
und dieses sei die religion?


so glasklar schlägt der tod die häuser flach
und tritt auf menschenhälse - kinderrücken
ach unsere hände sind verschmutzt
von narbenkrusten unserer väter
verraten wieder brüder – schwesterstimmen


schmerzstarres atmen nur die kriegskinder
kriechen durch nachtgründe ohne schlaf
fallen zurück in die sirenendröhnende kindheit
in der jede sekunde ein stern umfällt.
es treibt uns hin in
uferlose straßenstürzung


mir bleiben espenzitterhände
die suche nach der imaginativen stadt
in der ein wort allein
vorm untergang versöhnen könnte.

Montag, 16. Mai 2011

Mütter gegen den Krieg


So ist das leben
da stehn wir eben
denn niemand soll sein leben geben
für mächte, die die die netze weben,
zur treibjagd in die schützengräben.

Wer sich benutzen ließ für geld
der ist für uns der falsche held
ihm sei kein denkmal aufgestellt
er diente einer alten welt

Wir wolln für eine neue leben
so stehn wir eben
hier und nicht schweigend nur daneben
denn gegen hunger netze weben
heißt erstmal weg mit schützengräben


( Zur Erinnerung: Der Friedenslesungswettbewerb 2011 geht nun in seine heiße Phase)

Sonntag, 15. Mai 2011

Angelika Zöllner: glasharfe blutig


träume steigen wie blüten
und die fragen klingen
wie glasharfentöne
unbeschreiblich
in ihrer singenden klarheit
 
 steh  ich in regenfäden
geschlossener tag
kein schnee keine antworten
die ich lange gesucht habe
 
heute stelle ich fragen
das - lerne ich – hilft weiter
über manchen verlorenen grund
über verletzten doppelten boden

traumnetze lösen sich auf
die windharfensaiten reißen
die glasharfe klingt blutig
und in den straßen schüttelt der krieg

da pflanz ich noch immer
blumen des zorns und der zärtlichkeit
für die menschen
baue häuser und luftschlösser
für den aus- und den inländer
für alle geliebten und ungeliebten

hin und wieder verlier ich den mut
das samenkörnchen
ich hebe es auf und halte es warm
zwischen den händen.

    Erstveröffentlicht in der Zeitschrift 'Muschelhaufen'.

Samstag, 14. Mai 2011

Angelika Zöllner: finis terrae



(geschrieben im Finistère, Bretagne)
 

  steh ich am berg
liegt die welt auf dem rücken
 
  
schön ist sie
ein schweigen im glühenden licht 


einst verlor sie sich
an den menschen 
es stürmen
wölfe um sie her
 

atmen das gras
die bilderbogen letzter bäume
 

reise ich zurück
wenn die sonne
 

aus dem schatten tritt
über die abendgrenze
 
mit flammender haut
noch einen weg schlagen.

Angelika Zöllner: 1968 - anfang zwanzig


die zeit verliert sich in rocktaschen


was bleibt

was halten wir

von hinterlassnen träumen fest

jetzt stürzen menschen sich

schon wieder starr auf menschen

und greifen kühl gesichter fingerhände

nur weil sie anders singen wollen ohne

gleichgesinnten wind


damals waren uns die kleinsten waffen

heiße fingerbrände

nachts warfen wir sie steil ins nichts und

gern berührten wir uns friedlich 

wir fühlten tags des

andern heile haut


  wir trotzten dem konsum mit scharfen liedern

und träumten von dem ende allen machtspiels

wir brachen rücksichtlos in

atemlosen glühen die

grenzen zwischen menschen auf

die freiheit das gelöste wort

hing lang so lässig an den billig-jacken

was bleibt wenn wir noch überleben wollen

wenn unsere kinder uns mit fragen

in die ausgetretenen spuren sehen?

Freitag, 13. Mai 2011

Angelika Zöllner: frieden


genug geklagt
noch fühl ich leben
der sommer streut sein mildes licht
und weht mir farbenträume zu
laß mich noch diese tage schmecken
und honig sammeln
dir und mir

im herbst bestell ich mir das land
und scheuch die totenvögel weg
ich setze hoffnung korn für korn
und suche mir die atemsaat

noch hängt die sonne
ich will singen
ehe der himmel fällt.

 (veröffentlicht in   Granatapfelzeit, Verlag Neues Literaturkontor, Münster.)