Montag, 28. Februar 2011

Slov ant Gali: Von Strichelchen

Meine Deutschlehrerin
ärgerten mich
mit einem Kalauer:
Ein deutscher Kriegsminister
habe eine Depesche abgeschickt:
Aufhängen, nicht begnadigt!
Jemand habe das
Komma versetzt:
Aufhängen nicht, begnadigt!
Nur ein Strichlein
habe einem Menschen
das Leben gerettet.
 
Damals lachte ich:
Wir haben keine
Kriegsminister mehr.
Heute fürchte ich
einen Verteidigungsminister ...
 
"Verteidigungs"-minister.

Sonntag, 27. Februar 2011

Pia Biundo: Regenbogen

Wenn der letzte Mensch vertiert
Und mit dem letzten Tier krepiert,
Wenn bestenfalls noch Küchenschaben
Und Asseln sich durch Moder graben,
Wenn's aus ist mit dem bunten Leben –
Für wen wird's dann noch Regenbogen geben?
 
Es geht um dein Leben, mein Leben, unser Leben hier,
Es geht um's Überleben, tun wir was dafür!
Es geht um dein Leben, mein Leben, unser Leben heut,
Es ist noch was zu retten, doch es bleibt nicht mehr viel Zeit!
Es geht darum, wie du dich fühlst, wenn du in den Spiegel schaust,
Und ob man dir noch trauen kann, ob du noch einem traust.
Was du denkst ist von Belang, und was du sagst hat seinen Wert,
Doch musst du auch was machen, sonst bleibst du ungehört!
 
Als Beherrscher der Welt taugen wir nicht,
Der eitle Plan war viel zu groß.
Diese Erde braucht uns nicht,
Die wär’ wahrscheinlich froh, sie wär’ uns los.
Wir sind die Krone nicht der Schöpfung, diese Formel war Betrug,
Doch als ein Teil vom Ganzen sind wir wichtig genug:
 
Wir sind ein Wehen im Wind, mit dem die Wolken ziehn,
Ein Tropfen vom Regen, ohne Regen kein Grün.
Wir sind ein Blatt am Baum des Lebens, ohne Blätter wär’ er kahl,
Salz in der Lebenssuppe, ohne Salz wär’ sie schal.
Wir sind ein Stein in der Brücke, die den Abgrund überspannt,
Eine Sprosse in der Leiter an der Kerkerwand.
Wir sind ein Knoten im Netz, das den Geist zusammenhält,
Eine Faser im buntgewebten Teppich dieser Welt.
 
Unterm Regenbogen wartet ein Schatz,
Er glitzert im Wasserwerferstrahl.
In der ersten Reihe ist für dich noch Platz,
Mach aus der Unter- eine Überzahl.
Die Welt verbessern zu wollen, ist kein Grund, sich zu schämen,
Und „Gutmensch“ ist als Ehrentitel anzunehmen!
 
Es geht um dein Leben, mein Leben, unser Leben hier,
Es geht um's Überleben, tun wir was dafür!
Es geht um dein Leben, mein Leben, unser Leben heut,
Es ist noch was zu retten, doch es bleibt nicht mehr viel Zeit!
Es geht darum, wie du dich fühlst, wenn du in den Spiegel schaust,
Und ob man dir noch trauen kann, ob du noch einem traust.
Was du denkst ist von Belang, und was du sagst hat seinen Wert,
Doch musst du auch was machen, sonst bleibst du ungehört!

Hubert Achenbach: Zerfall

Es sind die größten Reiche auch
zerfallen vor der Zeit,
selbst Alexanders „Herrlichkeit“:
Aufgelöst in Rauch.
 
Ob hundert oder tausend Jahr,

vergebliches Bemühn.

Nur kurz die großen Reiche blühn,
von Rom bis Alexandria.
 
Geblieben sind nur ein paar Namen,
großer Feldherrn und dergleichen.
Von den vielen tausend Leichen
weiß kein Mensch woher sie kamen.

Samstag, 26. Februar 2011

Achim Amme: Frohe Botschaft

1
Keine Nachricht. Kein Lebenszeichen.
Kein Anruf, kein Brief, kein nichts.
Keine Rechnung zu begleichen.
Kein Zeichen des Verzichts.
2
Kein Feuer. Keine Rauchsignale.
Keine Trommeln in der Nacht.
Keine Narben. Keine Muttermale.
Kein Hinweis. Kein Verdacht.
3
Kein Pfeil. Kein Pfahl im Fleische.
Kein Auge ausgerissen.
Kein Heulen. Kein Gekreische.
Kein Mensch. Von nichts was wissen.
4
Kein Rätsel. Keine Geheimschrift.
Kein Spiegel. Keine Magie.
Kein Orakel, das immer eintrifft.
Kein Trick. Keine Telepathie.
5
Kein Gruß von der Hure Babel.
Keine Botschaft. Kein Telegramm.
Kein Kuss. Kein Zettel im Schnabel.
Keine Tulpen aus Amsterdam.
6
Kein Funkspruch von fremden Sternen.
Keine Flaschenpost aus dem All.
Keine Weisung, sich unauffällig zu entfernen.
Kein kosmischer Überfall.

Freitag, 25. Februar 2011

M.S. Chazara: Wie immer

Wie immer

ist der Himmel blau
gedacht;

die Vögel schweben
darin,

bevor sie sich setzen.

Noch fällt keine Bombe.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Christina Mundhenk: danach

Danach
Es war diese Stille
die mir entgegenschrie nachdem
die Truppen gegangen waren
im Gleichschritt vorbei
an verbrannten Feldern
und dem leeren Tempel
in dem noch eben ein Engel blies
den letzten Zapfenstreich.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Julia Rafael: Für den Frieden

für den frieden

 
gerüstet
mit narben
aus dem schmerzensmorast
rattern die lügen

wer schweigt, irrt
wer redet, verschweigt

um die hüften der welt
der lockere colt
der himmel skalpiert
die hölle liegt frei 
in schutzzonen wird das große
erblinden geübt

trotzdem bleibt dieses hoffen
diese sehnsucht nach leben

Dienstag, 22. Februar 2011

Wilma Klevinghaus: Werdende Mutter

Werdende Mutter
Lass es keinen Sohn sein
O Gott,
was in meinem Schoß
sich bereitet –

Lass es keinen Sohn sein
O Gott,
denn Söhne
werden geboren zum Töten
und zu sterben
wenn zu töten befohlen wird.
Lasst uns ausbrechen
Ihr Frauen
Aus dem Strom
Der klaglos Leidenden:
Der Witwen und Mütter
Der verlassenen Bräute
Und Waisen, die nicht wissen
Was Väter sind

Lass uns nicht mehr gebären
O Gott
Töter und Getötete
Zukünftiger Schlachten –

Lasst uns
Ihr Mütter
In die Gräber des Wahnsinns
Den Samen des Friedens senken
Und endlich Mütter
Des Lebens sein.

Montag, 21. Februar 2011

David Damm: Park des Sieges

Park des Sieges

Die Stadt liegt glorreich mir zu Füßen
Rotes warmes Licht getränkt,
Vom Sockel hoch die Helden grüßen,
Ein Lächeln für die Welt geschenkt.

Tausend Steine, tausend Tränen
Pflastern jenen Weg zum Ziel,
Stahlbeton zum Himmel sehnen,
Leere weitet viel zu viel.

Um des Kreises Ehrenmal
Kriegsmaschinen und Geschwader,
Rostend, wartend, tot und kahl,
Versiegt des Krieges kalte Ader.

Ratternd tost es durch den Wind,
Bretter von der Rampe schießen,
Kinder lachen, fröhlich sind,
Niemals wieder Blut vergießen!

Sonntag, 20. Februar 2011

Kurt May: Barbaren

Barbaren

Nach dem letzten großen Kriege
Fuhr ein weißer Offizier
Mit dem Schiff nach Neuguinea,
Handelte und tauschte hier.
Und er suchte Kannibalen.
Und man sah ihn Plunder zahlen
Stolz für einen Menschenkopf.

Und ein Kannibale staunte:
Euer grauser Krieg ist aus.
Findest du denn keinen Schädel
Dort in eurem Leichenhaus?
So viel Knochen gab`s zu messen.
So viel Menschenfleisch zu essen.
Weißer, ich beneide dich.

Ihr Barbaren, sprach der Weiße,
Kann man denn so tierisch sein?
Ja, wir töten manchmal Menschen.
Doch dann graben wir sie ein.
Und den Wilden sah man stutzen:
Wenn man tötet, muss es nutzen.
Warum tötet ihr sie dann?

Samstag, 19. Februar 2011

Günther Nuth: farbenfroh

                                              
Es gibt Leute,
die sehen rot,
wenn ein Schwarzer vor ihnen steht.
Haben braune Ideen
glauben an ihre weiße Weste
und sind nicht einmal blau

Freitag, 18. Februar 2011

Elisabeth Monsig: Das wäre, was ich noch erleben möchte!

Alle, die mit der Rüstungsindustrie  
ihr großes Geld machen - werden verpflichtet:
nach dem Einsatz ihrer Mordwerkzeuge auf den
"Schlachtfeldern" die Toten zu bergen, auch
deren einzelne Körperteile,
die halbzerfetzten Menschen zu versorgen,
die Kriegswaisen bis mindestens zum 18. Lebensjahr
zu versorgen,
die Trümmer in den Städten zu beseitigen,
sich bei den Völkern zu entschuldigen und
selbstverständlich eigenhändig alle Minen  und
Bombenblindgänger zu beseitigen.
Wohnstädten wieder aufzubauen.
Dafür dürfen keine Steuergelder mißbraucht
werden!
Es ist alles eine reine Angelegenheit der
 Kriegsgewinner - also auf deren Kosten!!!
 
Könnten wir uns nicht dafür stark machen,
ein solches Gesetz
weltweit durchzusetzen ???
Monsing, Elisabeth, Hohenfelde, 83 Jahre

Donnerstag, 17. Februar 2011

Eine Debatte zwischen Mutter und Tochter über Macht, Geld und Frieden aus "Planet der Pondos"

...
Stimmt, Mum. Is manchmal besser, wenn man etwas nicht weiß. Die Koom waren jedenfalls glücklich, in einer Welt der Gleichheit und Gerechtigkeit zu leben. Besser als das, was wir kennen. Und damit ist es nun vorbei.“
Deborah schob einen Faserstrang zur Seite. "Das ist doch eine Frage der Nachrichten, die sie bekommen. Die Koom wussten doch bisher den Wert ihrer Individualität überhaupt nicht zu schätzen.“
Uljana wandte ihren Blick wieder von dem Bild des Fabelwesens an der Wand ab. Mochte dieser Drachenhund doch seine Feuerzunge herausstrecken. "Die haben bestimmt mehr Individualität wie die meisten von uns zusammen. Aber darum geht es dir doch gar nicht. Mit Individualität meinst du doch bestimmt dasselbe wie unsere Lehrer damals mit Freiheit. Weißt du noch, was du selbst mir mal dazu erklärt hast? Freiheit hat nur, wer genug Geld hat?“
Deborah legte ihr Besteck zur Seite: "Siehst du, und die Koom hatten vorher überhaupt kein Geld. Also konnten sie keine Freiheit, Individualität oder was auch immer haben.“
Uljana unterbrach sie wütend: "Verscheißern kann ich mich alleine. Ich mein, die Koom haben sich wohlgefühlt so, wie sie gelebt haben.“
Weil sie nichts Besseres kannten.“
Uljana stand auf und räumte die Teller zusammen. "Ich wäre froh, wenn ich nichts Besseres, wie du es nennst, zu kennen brauchte. Es ist einfach ungerecht. Unser Leben früher auch. Du kannst nicht Gemeinschaften nach dem Überfluss bewerten, den sie auf Kosten Anderer verschleudern.“
Deborah lächelte sie an: "Nein? Wonach dann?“
Uljana kam wieder aus der Küchenbucht zurück und warf sich schwungvoll in einen der Schalensitze. "Оkay. Spielen wir mal durch: Was braucht man denn wirklich so zum Leben?" Sie hob die Hände, um demonstrativ an den Fingern abzuzählen: "Was gegen Hunger und Durst, eine Wohnung, wo sich nicht alle gegenseitig auf der Pelle hocken, das Gefühl, sicher zu leben, Gesundheit, sinnvolle Beschäftigung für jeden, damit er sich wertvoll fühlt und nicht als Assi, gute Bildung, damit du auch wirklich viel Sinnvolles machen kannst, Kultur, damit du mit all deinen vielen Sinnen auch richtig was genießen kannst, Informationen, weil du sonst nichts vernünftig mit entscheiden kannst - eben Möglichkeiten, dich selbst als denkendes und fühlendes Wesen zu entwickeln und zu genießen. ... Hab ich was vergessen? Das kannst du nicht abmessen, sondern entweder hast du es nicht oder du begreifst es nicht oder du hast es im Ganzen. Ich glaube, die Koom hatten das alles schon im Ganzen vor deinem Breckoro.“
Deborah versuchte sich in aller Ruhe zu konzentrieren. "Sieh mal: Was denkst du, sichert ein vernünftiges Leben besser? Unser System mit Märkten und freien einzelnen Individuen, die sich ihren Anteil an der Gesamtmenge des Reichtums erarbeiten können oder deine Kollektivsoße?“
Uljana hatte sich aufgerichtet: "Debbie, ich meine nicht nur für einige, sondern für alle! Das kann nicht funktionieren, wenn die Fabriken einzelnen gehöen. Wahrscheinlich sogar überhaupt nicht, solange alles über Geld geregelt wird. Und was heißt überhaupt erarbeiten? Hat sich dieser Maratin wirklich zehntausend mal mehr erarbeitet als zehntausend andere Menschen?“
Deborah beugte sich ruckartig vor. Nun sehr ungehalten antwortete sie ungewohnt laut: "Aber ohne Geld, ja? Das macht doch faul. Hast du doch an deinen Koom gesehen, wie schnell sie besiegt wurden. Weil sie einfach schwächer waren.“
Trotzdem war ihr Leben vernünftiger. Die kannten einfach keinen Krieg. Wenn ich deshalb schwächer wäre, wie du es nennst, würde mich das stolz machen." Während sie das sagte, presste Uljana den Lo-Ball in ihrer Kittelschürze zusammen.
Deborah lehnte sich zurück: „Wo hast du denn das nun wieder her?“
Das finde ich einfach logisch, Debbie. Oder findest du Krieg vernünftig?“
Uli, du weißt, was ich davon halte, wenn Menschen andere umbringen.“
Nun verschränkte auch Uljana die Arme vor der Brust. Dann stützte sie sich mit den Ellenbogen auf dem flachen Tischchen ab. "Und ich seh das so: Wenn du eine Fabrik besitzt, in der Waffen produziert werden, dann ist für dich vernünftig, dass die jemand braucht, und damit ist für dich eben Krieg vernünftig. Wen der vernichtet, ob Frauen und Kinder oder ob es nachher überhaupt noch Kinder gibt, das ist dir erstmal egal. Das muss dir sogar egal sein. Sonst gehst du natürlich unter.“
Aber in diesem Krieg hier sind ja wohl außer bei eurer Befreiung kaum Kinder vernichtet worden.“
Uljana, nun noch heftiger: "Na, weil die Koom gar keinen Krieg geführt haben.“
Weil sie nicht in der Lage waren, einen Krieg zu führen."
Entrüstet hob Uljana ihre Stimme. Und du meinst, die bessere Gesellschaft ist die, die Krieg führen kann?“
Jedenfalls besser, als sich nicht verteidigen zu können.“
Uljana hatte die Arme wieder auseinander genommen und sich aufgerichtet. "Wie toll. Ich möchte aber, dass ein jeder so denken darf, dass er allen nützt. Und sich dafür nicht zu verteidigen braucht.“
Wieso? Darfst du denn hier nicht denken?“ fragte Deborah spitz.
Darauf erwiderte Uljana: "Verstehst du mich nicht oder willst du mich nicht verstehen? Ich habe sogar Angst, das, was in meinem Kopf herumspukt, zu Ende zu denken. Damit passe ich natürlich nicht in unsere kleine Menschengesellschaft hier. Und in die Weihwelt auch nicht."
Erklär sie mir doch, deine Traumwelt!“
Nervös ging Uljana in die Küchenecke, ließ das Wasser laufen, wischte über einen sauberen Teller, legte ihn zur Seite. "Мensch, Debbie, einmal angenommen, ich hätte früher ungeheuer viel in die Entwicklung gesteckt, um einen Schädling zu bekämpfen - mein Geld, verstehst du? - und dann hörte ich, dass mein Zeug die Umwelt zerstört. Sollte ich da sagen, tut mir Leid, vergessen wir die Sache? Oder wäre ich mir nicht auch vernünftiger vorgekommen, wenn ich ahnungslose Abnehmer gefunden hätte, weit genug von mir oder meinen eigenen Kindern entfernt, die mir meine Forschung und noch etwas mehr bezahlten? Damit die draufgehen und nicht mein Geld? Weißt du, ich versteh die Typen, die das gemacht haben. Die haben ganz vernünftig an sich selbst gedacht. Ich will aber nicht so werden. Wir haben erlebt, wie es ausgegangen ist, aber hier fangen wir genauso an, kaum dass wir angekommen sind. Ohne mich, bitte! Und trotzdem will ich kein Verlierer sein.“
Ach Uli, wenn die Welt doch so einfach wäre: Da die Guten, dort die Bösen. Aber du musst doch leben, wo du hinein geboren bist. Auch deine Koom werden sich anpassen. Verlass dich drauf. Schließlich haben die Weih die Macht.“
Einer der kleinen Teller war Uljana aus der Hand gefallen. Er zerbrach nicht; nur die Kante, mit der er auf den Boden aufgekommen war, knickte an. Ganz kurz dachte Uljana, dass die Teller wohl aus diesen merkwürdigen Farnen hergestellt wurden. "Nein, die Koom werden sich nicht anpassen, Debbie! Ein paar vielleicht. Es gibt überall Anschleimer. Aber die meisten werden es nicht. Die haben natürlich ganz tief drin Generation für Generation erfahren, dass es anders geht. Die verwandelt kein Geld mehr in reißende Wölfe."
Uljana! Bin ich ein reißender Wolf für dich?“
Ach, Debbie, so hab ich das doch nicht gemeint. Aber ich möchte trotzdem nicht werden wie du. Ich möchte mich nicht anpassen an die Wölfe. Egal wie sie aussehen. Ob wie Menschen oder wie Pondos.“
Anstatt, wie sonst, wenn sie unterschiedliche Ansichten gehabt hatten, zum Schluss ihre Mum zu umarmen, stürzte Uljana aus dem Zimmer. Deborah lief ihr nicht hinterher. Sie rief sie auch nicht. Sie hielt sich nur die Hände vors Gesicht. So weit war es also gekommen. Zum ersten Mal sagte ihre Tochter, sie wolle nicht werden wie sie. Aber hatte sie das nicht vor vielen Jahren auch zu ihren Eltern gesagt? Klar. Nur hatte sie zu denen vorher ein weniger enges Verhältnis gehabt als Uli zu ihr. Und ihre Eltern hatten Recht behalten. Wie hatten sie gesagt? Wir verdienen das Geld, damit du dir diese Flausen leisten kannst. Du wirst sehen, wenn du erst einmal Kinder hast, sieht du das ganz anders

Mittwoch, 16. Februar 2011

Regina Versen: Atemlos

Atemlos
Unbarmherzig
sticht die Sonne vom benebelten Himmel
die Luft über den Straßen flirrt vor Hitze
die den Atem lähmt
Asphalt schmilzt, klebt an den Schuhen
Kein Windhauch regt sich
Menschen bewegen sich in Zeitlupe,
alle verlieren Flüssigkeit, manche die Besinnung
Blut stockt in den Adern
Rettungswagen sammeln kollabierte Kreisläufe ein
und im Schatten drängen sich die gaffenden Massen

Die milchigen Schleier sind zu dunkelgrauen Wolken geworden
Unaufhaltsam nähern sich tiefschwarze Fronten
schwefelgelbes Zwielicht wirft unheimliche Schatten
Schwüle dämpft den Puls der Stadt
und die Vögel sind verstummt

Jäh kommt heißer Wind auf,
wirbelt Staub und trockene Blätter durch die Straßen,
Dämmerung senkt sich über die Stadt
Spannungsgeladene Stille –
die Zeiger der Bahnhofsuhr geraten ins Stocken
dann bleibt die Zeit endgültig stehen
Die Stadt hält den Atem an,
ihre Häuser ducken sich
und es riecht nach Angst

Ein greller Blitz zerfetzt den schwarzen Himmel
der Knall ist ohrenbetäubend
von allen Seiten steht die Stadt unter Beschuss
weiße Mündungsfeuer erhellen für Sekundenbruchteile
bleiche Gesichter
Eisgranaten schlagen ein
infernalischer Kanonendonner lässt Wände wackeln
Blitze enthaupten Bäume
und der Sturm deckt Dächer ab
während Wolkenbrüche Keller fluten
heiße und kalte Fronten ringen stundenlang
erbittert miteinander
um das Niemandsland
bis sie sich nach und nach einigen,
den Rückzug antreten,
und die Nacht den Frieden besiegelt.
Ich atme auf.

Noch mehr Gewalt braucht niemand

Manfred Schröder: Glück muss man haben

Glück
 muss man haben.
 Besonders im Krieg.
 Dort bin ich
 nicht gefallen;
 nur hingefallen
 und habe mir
 den Arm gebrochen.
 Als das Lazarett
 mich entliess,
 war der Krieg
 schon zu Ende.

Ausschreibung

Wir suchen
Gedichte und kurze Texte zum Thema: „Frieden ist mehr…“
Am 1. September 2011 jährt sich zum 72. Male der Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen und
damit der Beginn des 2. Weltkriegs. Aus diesem Anlass findet in Berlin die 3. FRIEDENSLESUNG statt. Dazu werden Gedichte und kurze Texte zum Thema Frieden gesucht. Eine Jury erstellt aus den eingesandten Arbeiten eine Auswahl für die Lesung in Berlin sowie für eine Buchveröffentlichung.
Wer kann sich beteiligen?
Die Teilnahme steht allen Autorinnen und Autoren sowie Literaturbegeisterten ab dem
vollendeten 15. Lebensjahr offen.
Mit welchem Ziel?
- Prämierung der jeweils besten Beiträge nach Auswahl durch eine sachkundige Jury.
- Verwendung ausgewählter Texte für die FRIEDENSLESUNG im
  Hellersdorfer Kulturforum zum Weltfriedenstag/Antikriegstag sowie die Lesung zum
Weltfriedenstag der BVV Marzahn-Hellersdorf
- Aufnahme ausgewählter Texte in eine Preisträger-Anthologie
Welche Texte:
Jeder Teilnehmer kann sich in der Sparte Lyrik oder der Sparte Kurzprosa beteiligen (Keine Beteiligung gleichzeitig an beiden Sparten. In der Sparte Lyrik können bis zu 3 Texten eingereicht werden. In der Sparte Kurzprosa kann ein Text von maximal 9000 Zeichen (entspricht 5 Normseiten) eingereicht werden.
Wer veranstaltet das?
Kulturring in Berlin e.V.

in Zusammenarbeit mit 
  • Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf (Kommunalparlament)
  • Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V.
  • Poeten der Welt / Poetas del Mundo

Die Buchproduktion erfolgt mit Unterstützung durch die VVN-VdA Berlin sowie der Berliner VVN-BdA Landesvereinigung.
Preise: Die Preisträger jeder Sparte (Bester Autor/beste Autorin Lyrik oder Kurzprosa) erhalten neben der Urkunde ein Preisgeld von je 100 Euro, zur Verfügung gestellt von der Vorsitzenden der BVV Marzahn-Hellersdorf, Petra Wermke, sowie dem Kulturstadtrat von Marzahn-Hellersdorf Stephan Richter.
Die Siegertexte werden im Rahmen der Veranstaltung Friedenslesung vorgestellt.
Die Preise werden im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung/Lesung am 1. September 2011 überreicht. Die beiden Preisträger erhalten zur Anreise zu dieser Veranstaltung ein Bahn-Ticket für Hin- und Rückreise.
Alle in die Buchveröffentlichung aufgenommenen Teilnehmer erhalten je 2 Buchexemplare.
Bedingung:
Die Beiträge müssen ein selbst verfasstes Werk in deutscher Sprache sein. Der Autor/die Autorin besitzt die Rechte am Text. Die Autorin/der Autor tritt die Nutzungsrechte für Wettbewerb, Lesung und Abdruck sowie in diesem Zusammenhang stehende weitere Veröffentlichungen (Internet etc.) ab. Die ausführlichen Bedingungen sind auch auf der Webseite
www.friedenslesung-berlin.de zu finden.
Einsendungen an Kulturring in Berlin e. V., Carola-Neher-Str. 13, 12619 Berlin,
per Mail an post@friedenslesung-berlin.de oder CD-Rom
Betreff: Friedenslesung, Einsendeschluss: 15. Juni 2011

Dienstag, 15. Februar 2011

Siegfried Modrach: Kollateralschaden

Kollateralschaden

(frei nach Jamie Shea)
Sorry, boys!
Falls wir es gewesen sind,
finden wir das sehr bedauerlich.
Doch wir haben nie gesagt,
dass unsre Hightech-Bomben so was unterscheiden könnten.
Sind sie einmal ausgeklinkt,
fallen sie ins vorgegebne Ziel.
Oder woanders hin.
Klar, wir sehen das nicht gern.
Sorry, boys.
Falls wir es gewesen sind,
finden wir das sehr bedauerlich.
Doch weshalb fuhr der Fahrer seinen Bus
Auf die anvisierte Brücke?
Meinte er, sein Fahrplan wäre uns bekannt?
Hätte nicht gerade er mit dem Einschlag rechnen müssen?
War doch nicht die erste, die wir trafen.
Und es ist schon über einen Monat Krieg,
Herr Leichtfuß.
Sorry, boys.
Wenn wir es gewesen sind,
finden wir das sehr bedauerlich.
Doch was taten denn die Toten,
zu verhindern, dass sie tot sind?
Warum unternahmen sie nichts gegen den Diktator,
sondern setzten sich in diesen Bus
Und kamen unsrer Bombe ins Gehege?
Immerhin, so ist der Lauf der Welt:
Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
 Sorry, boys.
Falls wir es gewesen sind,
finden wir das sehr bedauerlich.
Doch wir haben immer die Glacehandschuhe anbehalten.
Und wir haben uns sogleich entschuldigt,
selbst wenn wirs,
was sehr wahrscheinlich ist,
gar nicht gewesen sind.

Montag, 14. Februar 2011

Heinrich Beindorf: Mit der Waffe

Mein Großvater der
gedient hatte
und mein Vater
der natürlich ebenfalls

gedient hatte

verschwiegen einander
in Halbsätzen
schrecklicke Dinge

und da schwor ich
dass mein Sohn einmal
nicht dienen würde

nicht diesen Herren
nicht solchen Typen
dachte ich
 wüßte auch gar nicht
welche Bank
Lobby oder
prominente Person
 sein Leben wohl
wert sein könnte –
 nee, die Welt
wird erst gut
weiß ich
 wenn denen keiner mehr
dient.

Sonntag, 13. Februar 2011

Helmut Fuchs-Bardun: Apocalypso

(Liedtext)
Wir tanzen den Apocalypso
Weils nichts mehr zu sagen gibt
Und sich jeder beim letzten Calypso
Ein letztes Mal verliebt

Im Ballhaus gefallener Engel
Da fallen die Engel noch mal
Sie stürzen sich in das Gedrängel
Und glauben, sie haben die Wahl

Doch wählen sie nur, wie sie sterben
An Hunger, Krieg oder Pest
Es bleiben keine Erben
Beim allerletzten Fest

Es haben drei wilde Reiter
Sich unter die Tänzer gemischt
Die Ballnacht geht weiter und weiter
Bis es jeden erwischt

Ach, wie wir fraternisieren
Mit Hunger, Pest und mit Krieg
Wenn wir den Kampf schon verlieren
Dann feiern wir das wie den Sieg

Wir tanzen den Apocalypso
Weils nichts mehr zu sagen gibt
Und sich jeder beim Tanz zum Kalypso
Ein letztes Mal verliebt

Samstag, 12. Februar 2011

Christine Hettich: Der Preis des Friedens

Der Preis des Friedens

Sie sind in das Land eingedrungen,
mit Kanonen und Gewehren
und haben gesagt:
Wir bringen euch die Freiheit, den Frieden.

Wie? Ihr freut euch nicht?
Wir werden euer Volk trotzdem retten,
notfalls mit Gewalt.

Wie? Es sind Bomben auf Schulen gefallen,
Kinder gestorben?
Ein bedauernswerter Unfall.
Tut uns leid.
Frieden hat seinen Preis,
versteht ihr das nicht?
 Nein, antworteten die Anderen,
bevor sie schossen.

Freitag, 11. Februar 2011

Helena Karolina Buchholz: Frieden

Wir brauchen Liebe,
um den Hass der Gewalt zu vergessen.
Wir brauchen Kraft,
um den Kampf um Frieden zu gewinnen.
Wir brauchen Mut,
um uns gegen die Angst vor Gewalt zu wehren.
Wir brauchen Licht,
um den Frieden zu sehen.
Wir brauchen Halt,
um nicht vom Strom der Gewalt mitgerissen zu werden. 


Wir haben Liebe,
um den Hass der Gewalt zu vergessen.
Wir haben Kraft,
um den Kampf um Frieden zu gewinnen.
Wir haben Mut,
um uns gegen die Angst vor Gewalt zu wehren.
Wir haben Licht,
um den Frieden zu sehen.
Wir haben Halt,
um nicht vom Strom der Gewalt mitgerissen zu werden.
Warum haben wir dann keinen Frieden?

Zum Zeitpunkt, als sie dies schrieb, war die Autorin 15 Jahre alt.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Wolfgang Reuter: Mein Gott heißt Lessing

Sie nennen es „Streit der Kulturen“,
doch geht es ihnen dabei nur
um religiöse Leitfiguren.
Wo bleibt beim Streit da die Kultur?

Sind Kreuzzüge erneut im Kommen?
Bekämpft der Muselman den Christ?
Ist Krieg ein Mittel für die Frommen?
Da bleib ich lieber Atheist.

Schon siebzehnhundertneunundsiebzig
Beschwor Herr Lessing seine Zeit:
Wer Hass statt Liebe sät, begibt sich
Auf Wege zur Unmenschlichkeit.

Mich macht der Religionsstreit bange.
Es kommt nur Übles dabei raus.
„Nathan, der Weise“ sprach schon lange
vor unsrer Zeit die Wahrheit aus.

Er hasste den ununterbrochenen
Disput um Heiligkeit und Schmach:
„Es eifre jeder seiner unbestochenen
von Vorurteilen freien Liebe nach.“

Wolfgang Reuter, Berlin

Mittwoch, 9. Februar 2011

Brigitta Weiss: Gern wär ich eine von den alten Eulen

Gern wär ich eine von den alten Eulen,
die nachts die Welt durch große Augen sehn,

dann müsste ich nie mit den Wölfen heulen

und trüge keine Eulen nach Athen.

Geräuschlos schwebend säh ich viele Dinge
Bei Nacht von oben schärfer als im Licht;
Und meine Auge, großgerahmt durch Ringe
Beherrschten – wie bei Sehern – das Gesicht.

Reglos verschliefe ich der Tage Stunden,
fernab vom Lärm und sinnlosem Geschrei;
flöge im Dunkel lautlos meine Runden,
im Schoß der Nacht geborgen, und doch frei.

Brigitta Weiss, Bad Lauterberg

Dienstag, 8. Februar 2011

aus der Bergpredigt (nach Luther)

... Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
 
... Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
 
... Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.  Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. ...
... Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.

Margita Osusky-Orima, Wallisellen: Ostern 1945

Ostern 1945


Die Seele lauschte
wie der Schnee taute
wie das Herz pochte
wie der Bach rauschte.

Osterglocken läuteten laut,
in der alten Dorfkirche, durch
einen Spalt – ein Sonnenstrahl
erhellte die Braut in Weiss.

Der Schnee verschwand.
Die Luft wurde schwer und heiss,
im Tal donnerten die Kanonen, und
am Bach weinte die Braut in Schwarz.

Margita Osusky-Orima, Wallisellen (Schweiz), 77 Jahre

Montag, 7. Februar 2011

Erik R. (Der Ohrenschützer): Die Kriegsherren

Die Kriegsherren
Die                                             Fast möchte man ihnen glauben
kriegsherrn                                 wenn man ihnen nicht
behaupten:                                  den
            sie müssten das gesicht wahren
und gingen der sache nun auf den grund
             es ginge um des landes ansehen
                      und des menschen würde

Erik R. (Der Ohrenschützer), Wien

Sonntag, 6. Februar 2011

Mircea M. POP: Orthographie

ORTHOGRAPHIE

 
Das Wort FRIEDEN schreibt man mit einem Kinderlächeln
das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem Schrei eines Neugeborenen
das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem ersten Kuss
das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem Frühling im Mai.

Das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem ersten Flug
das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem Gesang der Nachtigall
das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem Sonnenlicht
das Wort FRIEDEN schreibt man mit dem Schweiß der Arbeit.

Das Wort FRIEDEN schreibt man einmal mit dem Tag
das Wort FRIEDEN schreibt man einmal mit der Nacht
das Wort FRIEDEN schreibt man manchmal mit dem Tod
das Wort FRIEDEN schreibt man immer mit dem Leben.

Pop, Mircea

Samstag, 5. Februar 2011

Wolfgang Hoffmann: Rat

Rat
 
Wirf die Flinte fort,
doch nicht ins Korn,
denn Eisen, Blei und Brot
mischen sich nicht.
Wolfgang Hoffmann, Berlin

Freitag, 4. Februar 2011

Wolfgang Fehse: Ein Limerick

Ein Limerick
Ein Geldmann aus Groß-Vernieden
fuhr schnell zum Fest für den Frieden.
sprang aufs Podest,
schrie in das Fest:
„Ihr Diebe, lasst mich in Frieden!“
 
Wolfgang Fehse, Berlin

Donnerstag, 3. Februar 2011

Moshe Sala Chazara: April 1993

April 1993
 Und wenn die Nacht schreit....
 .....Nein!
Die Nacht schreit nicht.
Ich schreie in der Nacht,
das Blut,
die Nebel,
die Adern. 
Das Blut aus den Schüssen,
die Nebel aus den Gaskammern,
die Adern,
in die Gift gespritzt wurde. 
Nein, die Nacht schreit nicht.
Ich schreie in der Nacht
um meinen Bruder,
um meine Cousine,
meinen Vater
und seine Gerechtigkeit,
um deinen Vater
und seine Gerechtigkeit. 
Heute treffen wir uns
an Denkmälern,
immer wieder,
die umgeworfen werden,
manchmal bei Sonnenaufgang
zum Kuss.
M. S. Chazara, Givataim (Israel), 56 Jahre, aus "10 x 10 = 100" 

Mittwoch, 2. Februar 2011

Meine Bergpredigt zur Friedenslesung 2011: Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg

„Unschuldsblick
Ich
habe noch nie
einen menschen getötet
versichert das auge
das gut geübt
den feind
anvisiert
dem finger

immer
bist du es
der abdrückt“1

Genau da liegt der mit Schrotkugeln durchsiebte Hase im Pfeffer: Es gibt viele Möglichkeiten, mitschuldig zu werden an den Grauen von Kriegen. Die einfachste ist es, nichts dagegen zu tun.
Nun hat nicht jeder dieselben Möglichkeiten, aktiv unmittelbar an der Verhinderung von Weltkatastrophen mitzuwirken. Persönlich waren für mich die wichtigsten Pazifisten des 20. Jahrhunderts die Interbrigadisten in Spanien und Klaus Fuchs. Erstere, weil sie im Wissen um die den Zusammenhang von Faschismus und Krieg genau an der Stelle freiwillig tätig wurden, wo mit einem gescheiterten Probelauf die potentiellen Weltkrieger in ihrem Größenwahn vielleicht noch hätten gebremst werden können, der Andere, weil er mit seinem Verrat des Atombombengeheimnisses wahrscheinlich den sich von Korea ausbreitenden 3. Weltkrieg verhindert haben könnte.
Nachher zu spekulieren steht der Kunst zu – der und den Stammtischgesprächen. Aber dass die Vereinigten Staaten nicht zögerlich waren, ihr A-Waffenmonopol auch einzusetzen, ist unbestritten und dass es keine heißen sowjetischen Atombomben waren, die den Vietnamkrieg entschieden oder in einem anderen eingesetzt wurden, auch.
Kunst kann aber und muss auch an die Vernunft appellieren – über den Umweg des Gefühls … selbst, wenn das wie ein Widerspruch aussieht.
Kunst darf zum Beispiel fragen, wie viele Menschheitsprobleme gelöst wären OHNE die enormen Vergeudungen von Menschenleistungen und Naturressourcen durch all die vergangenen Kriege und die gegenwärtigen Rüstungen weltweit. Niemand brauchte – nur so als Beispiel – über „Asylantenproblem“ / „Wirtschaftsflüchtlinge“ usw. nachdenken, wäre nicht auch Deutschland begeistert, für gutes Geld Spitzenrüstungsgüter im Tausch gegen Rohstoffe zu exportieren, anstatt dass in den armen Ländern diese Erde die Lebensbedingungen der Menschen nachhaltig verbessert würden, wonach niemand einen Grund hätte, zum hoffnungslosen „Terroristen“ zu werden.
Haben wir nicht Probleme genug auf der Erde, für die unsere begrenzten Mittel gut einzusetzen wären? Mir fallen mehr ein als ich auf einmal aufschreiben könnte. Nur so als gefühllose Schlagwörter in den Raum geworfen: Umweltzerstörung, Hunger, Krankheiten, Unmenschlichkeiten aller Art.
Zumindest kann die Kunst malen: Das Leben könnte so schön sein – unbedroht. Und die Kunst kann sagen „So nicht!“ und versuchen zu sagen „So!“, wobei dieses SO so viele Formen haben kann: Es kann ein geistiges Gericht sein über all die Schädlinge an der Menschlichkeit, denen die Möglichkeit entzogen werden muss, jemals wieder am Leid anderer Menschen zu verdienen. Es kann die Geburt einer allgegenwärtigen Moral sein, die jedem Menschen sein Anderssein zubilligt als Grundsatz unter Gleichen, die sich nicht über Andere erheben. Es kann einfach eine urchristliche Ehrfurcht vor den Schönheiten der Schöpfung sein.
Schönheit lässt sich in so vielem entdecken. All dies ist FRIEDEN. Und der Nachbar ist anders als ich. Achte ich ihn? Überwinde ich meine Angst vor dem Fremden, das ich noch nicht verstehe? Habe ich genug getan, um diesen Jungen von nebenan davon abzuhalten, sein Geld damit zu „verdienen“, dass er „unsere“ (meine nicht) Vorstellungen von Kultur (das Raffen von einigen Wenigen) in fremde Länder trägt, um einmal – sollte er lebend wiederkommen – als Zombie, von Menschlichkeit entkernt, sein ganzes Restleben lang leugnen zu müssen, dass er ein „Feind“ (Mörder, Verbrecher, Mitmacher) im fremden Land geworden war?
Nur wer seinen Teil dazu beigetragen hat, diese Welt menschlich zu gestalten, kann sich frei sprechen von Mitschuld. Und die mit dem Wort hantieren sind vom Schicksal geschlagen: Die müssen es auch richtig gebrauchen ...

Deutschland, der Rentnerstaat, oder Ägypten ist woanders …

Als Wladimir Iljitsch den Ausdruck „Rentnerstaat“ gebrauchte meinte er etwas Anderes als die geistige FDP heute, die irgendwie moderne Gaskammern für alle Leute wünschte, damit nicht Greise verfressen, das Leistungsträger von der Kreativität der Zumwinkels, Ackermanns, Riesters oder Mehdorns an deutschem Kapital noch vermehren könnten. Er, also der Lenin, stellte fest, dass es unter den Bedingungen des herangereiften Imperialismus ganze Staaten gibt, die ihren Reichtum auf der Ausbeutung anderer aufbauen können. Was den Bewohnern als besonderer eigener Fleiß oder Ähnliches vorkommen mag, ist letztlich eine aus dauerhafter wirtschaftlicher (monopolistischer) Überlegenheit erwachsene „Rente“, von der ein paar Krümel in die eigene Massen verstreut werden.
Das bescheuerte Schicksal von Möchtegern-Revolutionären /-Kommunisten in Deutschland ist eben, dass das nachfaschistische Deutschland eben als potentielle Speerspitze gegen die drohende Gefahr einer gemeinschaftsorientierten Gesellschaft aus dem Osten erneut zu einem solchen Rentnerstaat aufgebaut worden ist. Wenn wir den Revolutionstheoretiker ernst nehmen – und es gibt zu wenige Gründe, dies nicht zu tun – dann leben wir hier in einem jene Staaten der Erde, den der gesellschaftliche Fortschritt am spätesten erreichen wird.
Auf der einen Seite müssen wir nicht nur, wir können vielleicht sogar auf Andere hoffen. Wie Lenin untersuchte, reißt eben die Kette der Macht an ihrer schwächsten Stelle, dort, wo die Widersprüche am schärfsten sind. Insofern sollte uns die Entwicklung in Ägypten nicht zu sehr überraschen. Dort sammelten sich besonders viele Gründe an für Empörung. Zu befürchten ist allerdings, dass die dortige „revolutionäre Situation“ nicht zum großen gesellschaftlichen Fortschritt führen wird. Zu wenig ist erkennbar, dass es eine politisch (und meinetwegen auch organisatorisch) führende Kraft gibt, die ein umfassendes antiimperialistisches Konzept zur Umsetzung vorlegen könnte. Zu groß ist demzufolge die Gefahr, dass die wirtschaftlichen Dampfwalzen dieser aufgeteilten Welt ihre „marktwirtschaftlichen“ Ideen der für sie „freien“ „Demokratie“ der inneren Bewegung aufdrängen oder dass sich neue „Jungtürken“ mit oder ohne religiösen Weltbildern an die Spitze drängen können.
Das Spannende am Konzept einer materialistischen Geschichtskonzeption ist aber gerade, dass sich nicht mathematisch determinierbar voraussagt, wann wie wo die erfolgreiche Revolution zur letztlich kommunistischen Gemeinschaft ausbricht, sondern nur deren Sinnhaftigkeit begründet.
1Aus Slov ant Gali „worträume“ edition petit Potsdam

Dienstag, 1. Februar 2011

Jörg Endres: Dankbare Momente

Wenn man den Fernseher einschaltet
und die Livebilder
des Krieges
kommentiert
von embedded Reportern
an einem vorüberziehen
und ein flaues Gefühl
im Magen hinterlassen 
wenn der Verstand
einem deutlich sagt,
dass wieder Dinge passieren
die schon einmal passiert sind
und die nicht mehr geschehen dürfen
wenn das Herz sich meldet
und man spürt,
dass es Zeit ist
aufzustehen, hier und jetzt
die Stimme zu erheben
gegen Unterdrückung,
Unrecht und Willkür 
dann sind das Momente
in denen man dankbar sein sollte
für das Aus
an der Fernbedienung.
 
aus „Zwei Liter Sokrates- Denkanstösse“