Mittwoch, 27. April 2011

Cord Buch: Roter Wüstensand


 Im Glanz roten Wüstensandes
lebt er
seit Jahrmillionen
der Stein, dieser Stein

Sengender Sonne
frostigen Nächten
fräsendem Sandsturm
hat er getrotzt

Nun wird er zerfetzt
im Bombenhagel
der Explosionen
der Geschosse

Im Schatten des Steins
der kauernde Mensch
er sähe den Stein zu Sand werden
wäre er nicht lang schon tot

In hitzigen Sommertagen
trägt der Wüstenwind
roten Wüstensand bis ans Meer
ferner Kontinente

Wüstensand
geboren aus
zerfallenen Steinen
zerfallenen Knochen

Dienstag, 26. April 2011

Claudia Wüst: wie kann ich ...


frohen Mutes singen,
wenn Kriege
wie Wellen toben
und jeden Tag
Stimmen
verklingen.


Wie kann ich
aus Leibes Kräften
munter lachen,
wenn Kinder
verkauft werden
und böse Menschen
über ihr Urteil
wachen.
Wie kann ich
leichten Fußes
vorwärts schreiten,
wenn die Natur
sichtbar schwindet
und die Erde
bebaut ist
bis in die
unendlichen
weiten.
Wie kann ich
aufhören
mich zu Quälen,
wenn die Gedanken
nicht schlafen
und sie mir
meine Ruhe
stehlen.

 Jetzt muss ich
Hoffen
auf ein
besseres
Morgen,
wenn die
Seele
Trübsal
bläst
und der
Körper
starr ist
vor Sorgen.

Montag, 25. April 2011

Jan Pelz: Schlachtszenario

Schämen sollen sie sich!

Schande! Systematisch spritzt samtroter Saft sämtliche Schlachtfelder scharlachrot, Schusswunden sprudeln, Sehnen springen, Sinne schwinden.
Schützen schießen, Soldaten säbeln siegessicher, schlitzen Scheitel, sogar Schultern seitwärts scheibenförmig.
Söldner schreien seltsame Sprüche, stöhnen, salutieren sogar sterbend sinnesverloren.
Silbern scheinen Schutzschilder, schillernde Stahlträger sichern Schützengräben.
Schwadronenscharen schwören salbungsvoll Siegesschwüre, Sanitäter sammeln schamlos Stücke seltsamer Scheusale, sezieren, selektieren sogar stinkende Skelette.
Schmerzsaison sämtlicher Seelen, Schatten schwingen schauderlich, Schaffot suspekter Strolche.
Synchron strömt säuerliches Senfgas südwärts.

Sensation:
Seriös stammeln Stümper scheinheilig Sätze, Scharlatane sichern sich Sitzplätze, samtene Sessel, Sektsaufend, Sherryschlürfend.
Senate suggerieren Sicherheit, starten Staatsspiele, sichern sündhafte Systeme, scheffeln Schätze, senden sauberen Schwachsinn.
Seidene Schlipse sitzen super, sentimentale Senatssprecher seufzen satt.
Schämen sollen sie sich!

Sonntag, 24. April 2011

Winfried Paarmann: Frieden

Ob Frieden ist oder nicht
wird Abend für Abend
mit der Fernbedienung
auf dem Polstersessel entschieden.

Der Daumen, mit eingeübter Abwärtsbewegung,
wählt das lebendige Schlachtengemälde –:

Die Säbel-schwingenden Reitereskorten,
den Kriegsglanz der Imperatoren,
Kanonendonner und Pulverrauch;
Schlachtenlärm gleichfalls in der Version
von Flagggeschützen und Panzercorps.  
Auge und Ohr saugen sich fest
an den Kugelduellen der Schlitzohren
und Gangsterclans, am blutigen Showdown.
Sie lieben die Gruselparaden
von Killermonstern und Monstern mit Menschengesicht,
den schwarzen gepressten Schrei der Angst.
Sie delektieren sich an den Szenarien
apokalyptischer Katastrophen, zu Land, zu Meer,
Sie lieben den Krieg der Sterne, das Leuchtfeuerwerk  
explodierender Planeten.

Wer schrie da
nach Frieden?

Der Mensch,
dieser junge Wilde mit dem Kindergesicht,
mit den tausend Schreckensgesichtern,
mit dem dünnen Gewand von Zivilisation
auf den martialischen Schultern –
noch im Namen der Menschlichkeit
verbrennt er das Saatgut der Äcker,
das Saatgut der Städte, das lebende, das er selbst ist.
Der Mensch, dieses Raubtier mit sanfter
Krallen-bestückter Streichelhand,
mit der rauen, der harten, der klagenden,
der schmeichelnden, liebenden Stimme.
Der Mensch, dieser gutherzige,
dieser schreckensherzige unersättliche
irdische Raufbold
mit der Klinge im Gürtel, dem Textbuch
der guten Glaubenssätze unter dem Arm.
Der Mensch, der in allen Verwüstungen
unverwüstliche Wanderer
mit der verborgenen kosmischen Perle
im groben Wandergewand –-

Ist er
für den Frieden gemacht?

Wartet noch! 
Wartet noch ein Äon.
Vielleicht nur ein halbes, ein kleines,
ein schnell vorüber eilendes Minutenäon.

Erst wenn ein Amselton in der Frühe
uns mehr entzückt als die Kampfmusik  
aus glitzernder Klinge und Kampfmetall;
erst wenn das ausfliegende Lächeln aus einem Gesicht
uns heftiger anrührt und leuchten lässt
als der ausfliegende Pfeil aus dem Köcher
des Beutegängers mit lauerndem Blick,
sein Triumphschrei im Zeitalter-lange Spiel
von Unterwerfung, Gewalt und Tod --

Dann wollen wir sagen:
Wir haben den ersten probenden Schritt
auf die Straße des Friedens gesetzt.
Welch großes,
welch übermenschliches Abenteuer!

Samstag, 23. April 2011

Slov ant Gali: Silvester-Sonett



Es ging ein taubes jahr spazieren
es sang so glücklich falsch sein lied,
wenns menschen, die beim exerzieren
und bomben werfen waren, mied.

Es stampfte durch zu hohe wellen
es ritt durch öl und wüstensand,
es strahlte in der menschen zellen
war selig, wenn es freunde fand.

Bald ist auch dieses jahr vergangen
wir sind am leben, wissend zwar,
dass ungestillt noch das verlangen
nach hörgeräten für ein jahr,

das kommt und bessre lieder bringt
und sie mit uns zusammen singt.

Donnerstag, 21. April 2011

Slov ant Gali: Zynisch

Und als sie Streubomben fanden,
die sie selbst geworfen hatten,
um sie dem Anderen anzulasten,
lag dazwischen ein Kind.

Also stritten sie,
was besser wäre:
Sollte man in die steifen Finger
ein Gewehr drücken,
fotografiert für die Schlagzeile:
Diktator wirft Kindersoldaten an die Front?
Oder
Unschuldiges Kind war
trotz massivem humanitärem Einsatz
nicht mehr zu retten?
Oder
Sollen wir weiter
nur aus der Luft zusehen?
Diktator schiebt Kinder unter
Bombenteppich der Freiheit.

Gut geölte Lügen
erwartet der Abschuss
auf menschliche Zweifel. 

Mittwoch, 20. April 2011

Astrid Hoerkens -Flitsch: Teelichter.


 Die Menschen neben ihr klatschten. Die ältere Frau hatte die Hände in den Manteltaschen versenkt und den Kopf gebeugt, um sich vor Wind und Regen zu schützen. Sie hatte Tränen in den Augen.
Am Podium erhob der Sprecher die Arme, als er seine Rede beendete. Die Frau hatte ihm zugehört. Den folgenden Vorträgen schenkte sie kaum Beachtung. Die Worte nahm sie wahr, aber sie konnte sie nicht begreifen. Zwischendurch vernahm die Frau nur noch den euphorischen Applaus der Menschenmenge.
Alle, die hier standen, waren gegen den Krieg. Die Frau war auch gegen den Krieg, gegen jeden Krieg. Seit Wochen gab es nur noch ein Thema. „Angriff gegen den Irak.“ Nachdem die Flugzeuge in die Zwillingstürme in New York geflogen waren, wusste sie, dass es Krieg geben würde. 
„Das gibt Krieg“, sagte ein Bekannter, als er die Nachricht hörte, und er sprach das aus, was die Frau befürchtete. Für sie war ein Weltkrieg wahrscheinlich. Ein Krieg, den sie als Kind erleben musste. So etwas wollte sie nicht noch einmal ertragen. Tagelang ließ sie keine Nachrichten aus. Sie verstärkten das Gefühl: Krieg, wieder Krieg! 
„Na, stell dich nicht so an, reagiere doch nicht so dramatisch, zu uns kommt der Krieg doch nicht“, sagte jeder zu ihr, mit dem sie über ihre Befürchtungen sprechen wollte. Nach einigen Tagen redete sie mit niemanden mehr über ihre Ängste.


Jetzt stand sie noch zitternd zwischen den Menschen, die dem Aufruf zur Demo gefolgt waren, einem Protestmarsch gegen den Krieg, wie er in vielen Städten stattfand. Immer denkbarer wurde ein Angriff. Die Frau beachtete auch die nächsten Redner nicht. Bei dem Aufruf sich zur Lichterkette aufzustellen, wurde ihr bewusst, dass sie frierend auf dem Burgplatz stand. Sie entfernte sich wie ein Schlafwandler in die Finsternis und konnte die Angst vor dem Krieg nicht mehr ertragen. Sie fröstelte, es war kalt und unbegreiflich dunkel. Sie verstand nicht, warum jetzt? Warum in unserer Zeit, in
einer Zeit des relativen Friedens? Drei Bahnen ließ sie an der Haltestelle vorüber fahren, bevor sie in der Lage war das Trittbrett mit dem Fuß zu berühren, die Haltegriffe zu fassen und einzusteigen. Sie hatte keine Kraft. Überall las sie das Wort Krieg. Es stand den Menschen auf der Stirn, aber sie schienen es nicht zu merken. Die Buchstaben warfen Blasen, flossen auseinander und wurden zu blutroten Lettern. Die Luft roch nach Krieg, sie atmete Krieg. Wie mit einem schwarzen Stift schienen die Worte an sämtliche Wände geschrieben. Als sie ausstieg und in ein Schaufenster schaute, begegnete sie ihrem Spiegelbild, begegnete sie sich. Sie sah einen verängstigten, grimmigen Menschen. Die Frau versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Chaos war in ihr. Sie fühlte sich so hilflos. Immer diese Angst. Am schrecklichsten war die Furcht vor der Dunkelheit. Sie bemühte sich, klar und bewusst zu denken, aber ihre Gedanken verloren sich in der Marschmusik, die sie aus einem Cafe hörte und die sie so hasste. Marschmusik, die Bilder in ihr aufleben ließen, die sie nicht sehen wollte.Soldaten, hunderte, tausende Soldaten, müde, ausgehungert und wie Roboter der Musik folgend. Sie wusste nicht, wo sie diese Bilder gesehen hatte, aber sie hatte sie gesehen. Ihr Denken stand still vor Angst. Weglaufen konnte sie nicht, abgestumpft war sie nicht. Die Welt hatte sich verändert, so kam es ihr vor. Sie selbst hatte sich verändert. Langsam ging sie durch die Fußgängerzone. Nur mit kleinen Schritten kam sie voran. Atemschwaden dampften ihr aus dem Mund, vermischten sich mit dem Regen und trübten ihren Blick. Eine junge Frau begann ihre Fenster zu putzen. Es nieselte immer noch. Die alte Frau erschrak, weil doch alles wie immer schien. Mütter zerrten Kinder hinter sich her und schleppten Einkaufstüten. Die putzende Dame schloss das gesäuberte Fenster.
Ich muss vorsorgen, dachte die Frau, während sie versuchte, die zerrissenen Fäden ihrer Gedanken zu verknüpfen. Bekleidung, etwas Warmes zum Anziehen müsste ich haben, waren ihre Überlegungen. Sie erinnerte sich an ihre Albträume nach dem letzten Weltkrieg. Diese Träume von Flucht, in denen sie immer nach einem warmen, langen Mantel suchte, den sie mitnehmen wollte -auch im Hochsommer -, aber sie fand keinen Mantel. Dieser Krieg wird ja nicht lange dauern, versuchte sie sich zu trösten, nur, sie fühlte keinen Trost. Die warme Zudecke, die sie besaß, die war ihr eine Beruhigung, über die freute sie sich.
Lebensmittel, kam es ihr in den Sinn, könnte sie kaufen. Konserven, Tütensuppen, so etwas kann man gut lagern, gleichzeitig wusste sie, dass dieses Vorhaben keine Lösung war.
Während sie ihren Überlegungen nachhing, spielte ihr Fuß mit einer Papiertüte, die sich vor ihr aufgebläht hatte. Blitzschnell entriss der Wind sie ihr und wirbelte sie herum. Die Tüte begann zu tanzen. Die Frau konnte die Schrift des Bäckers lesen. Der Wind griff den Beutel von der Seite an, wirbelte ihn hoch, riss ein Stück ab. Er spielte mit dem Papier. Es sah so leicht aus, wie die Tüte über dem Boden schwebte. Auch ihr wurde es leichter. Das Spiel der Natur begeisterte die Frau. Sie sah so lange zu, bis die Tüte völlig zerfetzt war. Der Wind zeigte ihr die Kraft des Unsichtbaren. Sie hatte ein wenig von dieser Kraft gespürt.
Sie ging in ein Geschäft, das gerade schließen wollte, und verlangte alle Teelichter, die vorrätig waren und die größte Packung Streichhölzer. Dreihundert Teelichter konnte sie bekommen. Verwundert blickte die Verkäuferin die Frau an und meinte:
„Für ein Gartenfest ist es aber zu kalt.“ Sie antwortete:
„Nein, kein Gartenfest, es ist wegen dem Krieg:“
Die Verkäuferin schüttelte den Kopf, als hätte sie ihre Kundin nicht verstanden, als wäre Krieg für sie ein Fremdwort, als wäre die Frau verrückt. Vielleicht war sie es auch. Es beruhigte sie, ein wenig Licht zu haben, ein kleines Licht für dreihundert Tage.
Als sie nach Hause ging, erstrahlten im Wasserstaub die leuchtenden Farben eines Regenbogens. Die Wolken schienen bleicher. Sie bedeckten halb den Mond. Die andere Hälfte war von Röte übergossen. Sie erinnerte an einen weit entfernten Brand.
Sie wartete auf den Krieg, Tag für Tag. Die Ungewissheit war so peinigend, dass sie fast hoffte, er würde endlich beginnen, dieser Krieg. Nach einigen Wochen war es soweit,
„der Krieg im Irak hatte begonnen“, lautete die Schlagzeilen. Die peinigende Ungewissheit, der tiefe Abgrund der Angst, wich der Realität. Am Abend nahm sie zehn Teelichter, entzündete eines nach dem andern, schaute in die Flämmchen, bis alle verloschen waren.

Dienstag, 19. April 2011

Michael Windisch: Über die durchschnittliche Taubensterblichkeit in Mitteleuropa


Mittelmäßiger Tag, mittelmäßige Szene. Blasse Wolken hatten sich vor die Frühlingssonne geschoben, eben ausreichend, dass sie die Stadt unter ihnen in leichtes Dämmerlicht tunkten, das sich nur für wenige, einzelne Sekunden, unregelmäßig und kaum wahrnehmbar, durch eine zarte Regung des Windes von ihr löste. Vor der Auslage eines innerstädtischen Elektronikladens hatte sich ein Grüppchen von Menschen versammelt, beiderlei Geschlechts, jeglichen Alters, jedweder Einkommensklasse. Man kannte keine Unterschiede.
Die Arme am Rücken verschränkt, hatten sie sich in ihrer nachmittäglichen Gleichgültigkeit, die sich von der frühmorgendlichen im übrigen kaum unterschied, vor der Auslage positioniert, durch die Glasvitrine auf das jüngst eingetroffene Sonderangebot (Fernsehbildschirm mit Bilddiagonale von 142 Zentimetern- für Interessenten: zwei Straßen weiter noch um einiges günstiger zu erhalten!) stierend. Soeben liefen Nachrichten. Nachmittägliche Kurzmeldungen. Auch sie scheinbar bereits dieselben, denen man vormittags beigewohnt. Zwischen dem katastrophalen Abschneiden der Nationalmannschaft im Rahmen eines freundschaftlichen Länderspieles gegen Frankreich, in dessen Nachhinein es zu wüsten Ausschreitungen von Seiten der patriotischen Anhänger gekommen war, und den Wetteraussichten für die kommenden Tage gebettet spielte man eben einen Bericht über irgendwo auf dem weiten Erdball stattfindendes Kriegsgeschehen ein. Mittelmäßiger Krieg. Der Beitrag von mittelmäßiger Länge. Die Panzerglasscheibe der Auslage sowie das Geräusch der immer wieder auf- und abrollenden Straßenbahnen im Rücken der Versammelten verunmöglichten im Duett zu hören, womöglich hatte man den Ton ohnedies bereits gänzlich abgestellt. Wie erwähnt: Es war ein mittelmäßiger Krieg. Am Bildschirm liefen nur ein paar vermummte Gestalten in sturmgewühltem Wüstensand durch das Szenario, im Anschlag trugen sie Maschinengewehre, das Erbeben der Kameraführung, stets, da im Hintergrund ein Artilleriegeschoss unausreichend frankiert seinen Weg über Grenzen bahnte, ward ersichtlich. Hie und da wurden Leichen oder zumindest Leichenteile durchs Bild getragen, deren noch perlendes Blut den Wüstensand dunkel färbte. Man sah eine aufgebrachte Menschenmenge vor einem zerbombten Haus, wehklagende Frauen, Kinder, die ihre Eltern suchten, im Hintergrund rollte ein Panzer, einzelne versuchten mit Steinen nach ihm zu werfen. Die Salven von Maschinengewehren gaben ihnen Antwort. Ein Vater trug sein totes Kind vor die Kamera, eben in dem Moment, da auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein gelblich-weißer Altbau unter einer Detonation, erst, erzitterte, später fiel. Ein unzufriedenes Murren ging durch die Ansammlung vor der Vitrine, als die Kamera von dem stürzenden Gebäude abschwenkte. Alltägliches. Ein mittelmäßiger Krieg eben.
Indes das Geschehen auf der angepriesenen virtuellen Bildfläche einen neuerlichen Wechsel unternahm, wieder einmal verhüllte Gestalten vor der internationalen medialen Linse wüste Tänze zelebrierten, ließ sich eine Taube hinter der starrenden Menschenansammlung nieder, gurrte ein wenig, blieb ungehört, ließ ein dürres Zweiglein, das sie in ihrem Schnäbelchen getragen, fallen. Wurde von einem vorüber fahrenden Rad überrollt. Federn flogen auf, der Fahrradpilot wandte sich kurz reuig um, ehe er die Fahrt wieder aufnahm. Termine eilten, er ihnen nach. Er hatte den Vogel, zugegebenermaßen, schlecht erwischt, nur der linke Flügel schien zerstört, wie mit einem bleiernen Gewichte beladen band er das Tier an den Asphalt, indes der restliche Körper unter wildem Schlagen des rechten Flügels die linke, unbrauchbare Schwinge zu umtanzen schien. Heftiges Gurren von Seiten der Taube, Passanten wichen in großem Bogen aus, manche gesellten sich auch zu der Ansammlung vor der Auslage, die sich noch immer stumm über die Brutalität so manchen fremden Volkes empörte, sich nebenbei auch an der Ungeheuerlichkeit von 142 Zentimetern Bildschirmdiagonale ergötzte. Was diese nicht alles in sich zu erfassen und auszustrahlen vermochte: Da sah man wieder brennende Häuser, von Blut gefärbten Wüstensand, Helikopter, Soldaten, vermummte Leichenprozessionen. Hie und da Herren in schwarzen Anzügen, sich unter freundlichem Händeschütteln des immer währenden Friedens versichernd. Und die Farben: So voll, so stark, so intensiv, unverzerrt das Bild, es schien, als geschähe all dies tatsächlich zwei Meter vor dem eigenen Auge, nicht weit, weit entfernt, irgendwo in der öden Wüste. Kolossal!
Die Taube flatterte und gurrte, blutete und wand sich tanzend um den eigenen Kadaver, noch als die Menge sich bereits aufzulösen begann, da man im Elektroladen das Fernsehwunder außer Betrieb genommen hatte. Erst das stählerne Rad einer vorüber fliehenden Straßenbahn schien sich ihrer anzunehmen. Es zerschmetterte das halbtote Tier, wälzte sich in dem Bad aus Blut, Fleisch und Gefieder. Der nächste Regen würde dann die sterblichen Überreste in die Kanalisation spülen. Er würde auch an die Glasvitrine trommeln, hinter der sich sicher und verborgen der Fernsehapparat den Konsumenten präsentierte.
Noch an so manchem mittelmäßigem Tag. 

Montag, 18. April 2011

Lilly Jäckl: wenn die scheiterhaufen brennen an der achse des bösen


hexe sagt sie, hexe.
  teufel, sagt der teufel!
  wenn die scheiterhaufen brennen an der achse des bösen läuft mein skoda besonders gut, wenn ich über den wechsel wechsel.
  da rinnt das öl, da drehen die räder durch, da schnurrt der motor, da funktioniere ich, da keuchen die wälder – schnell und so flexibel, während die autobahnbaustellen mit ihren abertausenden warnsignalen, leuchtreflexen, und lichtspielen, mich in so eine panik versetzen, dass ich das auto lieber schieben möchte aus lauter angst vor dieser gefährlichen, ja! tödlichen spurverengung im abschnitt zöbern... gefährlich lugt die section controll auf mich und entdeckt meine think crimes sofort – deshalb verstecke ich immer meinen kopf unter dem lenkrad, oder greife rasch nach dem rosenkranz, wenn ich mich einem dieser ungetüme nähere, die meine seele scannen, mit dem freundlichen kameraauge des großen bruders.
  der all-mächtige atommüll über dem planeten dreht sich wunderschön um die kern knackig weichen verwesenden sendersynapsen, sichtbar fleischlich geworden, im dichten nebel der satellitenbilder, deutlich erkennbar, auch rund um den mond, der laut ungehört aufheult in all dem wirbel, um endlich werbeunterbrechungssfrei fellinis „la luna“ anzusehen.
  fein und ruhig aber alles hier unten in unserem kleinen erdsegment aus heimaterde, verfeinert, zivlisiert und gesäubert, mittels flächendeckender verkärcherung aller randbezirke und alternativer informationsplattformen, zusammengerotteter schmutziger nester, bombenbastelnder satanismus – nein – terrorismusschlupflöcher.
  also, super-plus-gutes wetter heute! plus-gute werbemöglichkeiten. gute, kollapierende soundpartikel kreischender mikromotoren unsichtbarer bassboxen hinter dem multimedialen hexen – nein! hörhammer mixen humanbiologische partikel hinein in den köstlichen cocktail einer kokettierenden gutmenschen patrouille, die einem trotzdem noch besser schmecken muß, als ein frischer schmiß auf der jugendlich zarten haut dieser burschen auf der hauptuni. ja, diese burschen! rechte draufgänger!
  dafür müssen auch wir in der bildregie so manche seelenbelastung auf uns nehmen, um diesem meschuggismus ein ende zu bereiten, und ihnen ihre tägliche tagesdosis realität aus unserem kameraauge schmackhaft emotional aufzubereiten, liebevoll einzuflössen, denn sie, meine damen und herren, sie sind der geliebte wählermarkt, für sie leben wir, durch sie sind wir lebendig und in ihrem geiste!
– und die I.G.s? – schon wieder ein I.G.!
  ein I.G.?
  na, ge!
  illegaler grenzgänger
  die IGs: bei uns einnistend, geschwürig wuchernd, verseuchend den gesunden geist unseres rechten denkens!
  - wissen sie überhaupt wie viele I.G.s jährlich über unsere grenzen verletzend eindringen und österreich deflorieren? milliarden. milliarden, sag ich. milliarden. in zeiten der videoüberwachung gibt es nur noch die eine wahrheit, die digitale wahrheit, meine brüdern und schwestern, denn der cutter am schnittplatz lügt nicht, die bildregie manipuliert niemals, der kameramann, fängt die realität real ein, ganz real, so real, wie sie es garnie sehen könnten, mit ihren 2 verdrehten augen, die meistens auch noch genau dorthin schauen, wo doch gar nichts passiert- ja, wir sehen für sie, damit sie sehen lernen, alles durchschauen, und ich schwöre ihnen, wenn ich 3 mal milliarden sage, dann ist es noch weit untertrieben.
  das können sie, meine sehr verehrten damen und herren gottseidank natürlich nicht sehen, denn sie arbeiten ja, sind unter der dusche frühmorgens, um sauber ihren arbeitsplatz zu betreten, oder sorgen für das frühstück der kinder, denn sie arbeiten ja dafür, dass unser land nicht ausstirbt, sie können diese ekelhafte flut, die unser schönes land gerade schlammhaft überschwemmt, nicht sehen, und ich bin glücklich, ihnen diesen anblick unserer überwachungskameras ersparen zu können, denn es würde sie erschüttern, vielleicht sogar arbeitsunfähig machen.
  wir in der bildregie halten unseren täglichen gottesdienst mit anschließendem bild-& gesinnungstest jeden morgen gemeinsam ab und stärken einander, denn bei diesem grausigen anblick der realität ist es oft schwer, ruhig blut zu bewahren. sie, die anderen, die dort, also, die hier, untergraben unsere kultur! nehmen uns unsern wohlverdienten wohlig warmen wohlstand, den schweiß unsrer großväter, die parkbänke, die autos, die frauen, die kinder, alles reissen sie uns aus den offenen händen, so, dass nur noch unsere wundmale, stigmata einer gepeinigten volksseele, darauf offen zurückbleiben und uns einen schwachen, aber göttlichen trost lassen, indem wir die hände auf die augen legen, die ohren zu machen, den rücken der welt zu drehen und uns immer wieder sagen: es gibt einen, der dich liebt: jesus christus. es gibt einen, der dich liebt: jesus christus. es gibt einen, der dich liebt: jesus christus.
  die hand muß verdörren, die dazu „nein“ schreibt.
  ja, wir kämpfen für die zivilisation, die ganze, menschheitsgeschichtlich relevante, fortschrittlich einwandfreie, genetisch vorbildhafte zivilisation.
  eine grossoperation für die menschenrechte, weshalb wir uns auch manchmal ihrer entledigen müssen, und demokratie, ausschalten von beweglichen zielen, egal ob manche sie mit dem wort „zivilisten“ verniedlichen, für die freiheit, die wir haben und weitergeben müssen, hart, wie intelligentes aluminium, sauber, mit chirurgisch exakten eingriffen, wie ein griff der zarten, christlich reinen, sozial unbefleckten katholikenhand in die weiße weste des herrn bundeskanzlers,- ja, für nichts anderes als das gute im leben kämpfen wir, liebevoll zart mit chirurgisch exakten eingriffen intelligenter waffen – sie und ich – schulter an schulter – gemeinsam sind wir stark, in dieser dunklen, gefährlichen, ängstlich verschleierten, gnadenlos überfremdeten zeit.
  in biedermeierlicher romantik abgebauter sozialstaaten träumen wir gemeinsam, fest vereint vorm fernseher, hand in hand, im warmen wohnzimmer, schulter an schulter, mit unserer lieben familie, auge in auge mit unserm hoffnungsvollen nachwuchs - mund an mund - den amerikanischen traum!
  ja, in dieser kampfzeit, sind wir, charakterlich gesäubert, von allen arbeitsscheuen elementen, entschlossen, zu arbeiten für den sieg der guten, wahren, schönen, unverrückbaren, ewigen, westlichen werte,- durchmischen im unerschütterlichen, totalen eifer als workaholics mit strahlendem gebiss und tadellosem anzug für sie, tag für tag, im unermüdlichen glauben an die wahrheit und nichts als die wahrheit, die informationswelt der kommunikationswelt, evakuieren für sie destruktive partikel und volksfremdes material, für die ewige erbpflege unserer unbesiegbaren hochkultur der totalen freiheit!
  und hier noch ein spendenaufruf in eigener sache: bitte helfen sie uns helfen! soviele menschen, vor allem in der krisengeschüttelten untersteiermark müssen jeden tag ohne ausreichende videoüberwachung ums überleben kämpfen, so viele kinder glauben noch immer, realität sei das, was sich vor ihren eigenen augen abspielt! helfen sie uns helfen! schenken sie ihnen das augenlicht wieder! spenden sie jetzt!
  hexe sagt sie, hexe.
  teufel, sagt der teufel!
  der all-mächtige atommüll über dem planeten dreht sich wunderschön um die kern knackig weichen verwesenden sendersynapsen, sichtbar fleischlich geworden, im dichten nebel der satellitenbilder, deutlich erkennbar, auch rund um den mond, der laut ungehört aufheult in all dem wirbel, um endlich werbeunterbrechungssfrei fellinis „la luna“ anzusehen.

Sonntag, 17. April 2011

Ehrenfried Michael Jäschke: Schlussreim


> Soldaten marschieren -
> Beobachter platzieren -
> Gewehre justieren -
> Kanonen polieren -
> Erschießung probieren -
> Berichte zensieren -
> Beine amputieren -
> Leichen sortieren -
> Nachwuchs rekrutieren.
>
> Soldaten marschieren -

Donnerstag, 14. April 2011

Cranch Bahr: Erfüllte Wünsche


In der Adventszeit erfuhr die Frau von ihrem Gynäkologen das sie
schwanger war, und in der Nacht des Heiligen Abend, als sie vom
Festtrubel erschöpft im Bett lag, da betete sie zu Gott. Sie flüsterte
ihr Gebet, denn sie wollte ihren Mann, der neben ihr bereits tief und
fest schlief, nicht wecken. Zudem wäre es ihr peinlich gewesen, wenn
ihr Mann sie beim Beten überrascht hätte. Vielleicht hätte er es
kindisch gefunden, wie sie so unter ihrer Bettdecke lag, die Hände
gefaltet hielt und - ohne sich um ihre Wortwahl zu scheren - zu Gott
betete.
„Lieber Gott! Bitte mach, dass dieses Kind ein Junge wird. Mit den
Mädchen, die du uns bisher geschenkt hast, bin ich zwar sehr zufrieden,
aber ich hätte zur Abwechslung gerne einen Jungen. Nur um zu sehen, wie
groß die Unterschiede im Verhalten und im Charakter zwischen den
Geschlechtern tatsächlich sind. Außerdem wäre es nett, wenn mein Mann
jemand zur Unterstützung an seiner Seite hätte, wenn er sich gegen
seinen Frauenhaushalt durchsetzen muss. Und du weißt ja selber, dass er
ein guter Mann ist und es verdient hätte, einen Sohn zu bekommen.“
Sie sah ihren Mann an, der neben ihr leise vor sich hin schnarchte und
ihr Blick war voller Liebe. So setzte sie rasch ihr Gebet fort: „Und
wenn du uns tatsächlich einen Jungen schenken solltest, dann könnte er
auch rote Haare haben. Selbst das würde unsere Freude nicht trüben.“
Die Frau dachte, das sei ein gutes Zugeständnis, denn rothaarige Babys
waren im Allgemeinen nicht sehr beliebt. Sie jedoch würde ihren
rothaarigen Jungen über alles lieben. Würde Gott sich auf diesen Handel
einlassen?
In Gedanken wanderte sie ihre Ahnengalerie entlang. In den letzten
hundert Jahren waren in ihrer Familie nur drei Jungen geboren worden.
Und davon hatte nur einer das Erwachsenenalter erreicht. Die beiden
anderen wurden, halbe Kinder noch, im zweiten Weltkrieg eingezogen und
starben an der Front in Frankreich.
Die Frau erschrak. Wenn nun auch ihr Sohn irgendwann einmal in den
Krieg ziehen musste? Sie hatten in ihrer Familie keinerlei Erfahrungen
mit Wehrdienst und Kriegsdienstverweigerung. Sie hatte sich noch nie
darüber Gedanken gemacht, wie man seinen Sohn dazu überreden konnte,
kein Soldat zu werden.
Vielleicht haben wir ja Glück, beruhigte sich die Frau selber, und
unser Sohn hat soviel Verstand, dass er sich eigenständig für den
friedlichen Weg entscheidet, ohne dass wir ihn allzu sehr überreden
müssen.
Aber sie erinnerte sich auch an die Worte anderer Mütter, dass Jungs
wild seien und kaum zu bändigen und dass sie am liebsten mit Pistolen
spielen und auf alle Leute zielen, denen sie begegnen. Und selbst wenn
man ihnen die Pistolen wegnimmt, dann formen sie ihre Hände zu Pistolen
– Zeigefinder ausgestreckt, Daumen in die Luft, die restlichen Finger
zur „Faust“ geballt – und ballern munter weiter.
Die Frau wusste, dass sie nochmals Gottes Hilfe benötigte und
flüsterte ihm leise zu: „Wenn du uns wirklich in deiner unendlichen
Güte einen Sohn schenken solltest, dann wünsche ich mir, dass er
niemals Soldat wird. Amen.“


Sieben Monate später gebar die Frau einen rothaarigen Sohn. Und als
seine Eltern ihn voller Liebe gemeinsam betrachteten, da wusste die
Frau, dass Gott ihr auch den zweiten Wunsch erfüllt hatte. Ihr Sohn
würde niemals Soldat werden. Er war behindert.