Freitag, 15. Juli 2011

Zwischeninfo 3

Soeben vom Kulturring eingetroffen - für Statistikfreaks:

Insgesamt beteiligten sich in diesem Jahr 324 Teilnehmer, 
davon 220 im Bereich Lyrik mit insgesamt 387 Gedichten 
und 104 im Bereich Prosa (hier war nur je ein Beitrag erlaubt).

Der jüngste Teilnehmer ist 15 Jahre alt, der älteste ist 80 Jahre.

Es wurde ein tatsächlich internationaler Wettbewerb:

28 Einsendungen kamen aus Österreich, 

11 aus der Schweiz,

sowie je eine aus
Dänemark,
Frankreich,
Irland
Italien,
Polen,
Ungarn,
Serbien,
Israel
und
Taiwan.



Und die Bewertungen sind weit fortgeschritten!!!

Samstag, 2. Juli 2011

Cord Buch: Ungeboren tot


Yasmin erinnert sich von Zeit zu Zeit an ihren ersten Kuss. Vor allem an seinen unvergessenen Geschmack. Doch der Kuss in diesem Café, vollgestellt mit alten Polstermöbeln, mit kitschigen Fotografien an den Wänden, die ihr Jahrhunderte alt erscheinen, schmeckt so ganz anders. Nicht nur nach mehr, nach viel mehr, sondern so, wie der aller erste wirklich schmecken soll.
Sven küsst sie erneut, und wieder verliert sich Yasmin in einem Strudel hüllenloser Wolken.
"Gehen wir?", fragt Sven in das Verlorensein von Yasmin hinein. Sie kann nur zustimmen, etwas anders ist undenkbar. Und als er in seiner Junggesellenwohnung das Bett freigeräumt hat von schmutziger Wäsche und ausgelesenen Zeitungen, küsst er sie wieder. Und es ist das Selbstverständlicheste dieser Welt, dass er ihre Bluse aufknöpft und sie bald darauf auszieht. Es kann nichts anderes geben, es muss so sein, sie versinken ineinander.
Yasmin hat sich Soldaten immer als harte Männer vorgestellt, solche, die keine Skrupel haben, andere Menschen zu töten, Bomben auf fremde Städte zu werfen oder aus kilometerweiter Entfernung todbringende Geschosse in die Wohnungen unbekannter Menschen zu lenken. Nie hat sie geglaubt, dass ein Soldat sie so zärtlich zum Höhepunkt ihren Lust führen kann und auf diese Art küsst. Doch Sven kann das, und doch ist er Soldat in der Bundeswehr.
Beide erleben einige dieser wunderbaren Abende, Nächte. Dann druckst es aus Sven heraus:
"Ich verreise nächste Woche. Unsere Einheit wird nach Afghanistan verlegt."
"Du verlässt mich?"
"Nicht lange."
"Wie lange denn?"
"Vier Monate. So ist das üblicherweise."
Der Abschied ist schrecklich für Yasmin. Für Sven wohl auch, aber er redet wenig davon. Beide hoffen, dass es im Feldlager einen funktionierenden Internetanschluss geben wird, obwohl sie darüber Gegenteiliges gelesen haben.
Tatsächlich kann Sven nur manchmal einen freien Platz im Internetcafé des Lagers ergattern. Dann erzählt er von seinem Leben in Afghanistan. Schreibt vom Staub, den heißen Tagen und den kalten Nächten. Von der Angst der Soldaten vor den Taliban. Von dem Schwitzen, wenn sie in voller Montur unter sengender Sonne über einen Basar patrouillieren. Gern möchte Yasmin mehr erfahren, wie es ihm geht, wie er sich fühlt.
Sie selbst hat viel zu erzählen. Aber sie braucht ein wenig, um dafür bereit zu sein. Von dem Kind zu berichten, dass in ihr wächst seit der Nacht, als sie den Kuss von Sven schmeckte, als er sie fragte: "Gehen wir?". Doch ihre Unsicherheit ist unbegründet, Sven freut sich. Und wird bestimmt zur Geburt ihres Kindes wieder zu Hause sein, in Deutschland, sagt er. Sogar über geeignete Namen denken sie schon nach.
Yasmin hat bisher selten in einer Tageszeitung geblättert, nur manchmal die Nachrichten im Fernsehen sich angeschaut. Doch seitdem Sven in Kundus ist, seitdem ihr Kind in ihr wächst, schaut sie regelmäßig Nachrichten, um ja keine Neuigkeit aus Afghanistan zu versäumen. Und um zu wissen, wie es Sven geht, in diesem gefährlichen Teil der Welt.
Doch die Nachrichten verwirren sie. Eine lasergesteuerte Bombe zerfetzt ein Wohnhaus in einem abseits gelegenen Dorf. Vier Frauen und ihre zehn Kinder sterben. Ein Drohne trifft ein Gebäude, in dem sich Taliban verschanzt haben sollen. Doch von denen finden sich keine unter den Toten, wieder Frauen und Kinder die Getöteten, und auch ein paar Greise.
"Sven, bist du dabei? Hast du damit zu tun?"
"Ich darf dir keine militärischen Geheimnisse verraten."
"Was ist daran militärisch? Frauen und Kinder sterben!"
"Yasmin, hier ist Krieg. Die Taliban sind überall."
"Hast du schon mal überlegt, dass nicht nur Frauen und Kinder sterben, sondern wie viele der toten Frauen schwanger waren? So wie ich?"
Nein, das hat Sven nicht. Und das will er auch nicht. Aber er wird ganz bestimmt in wenigen Wochen zurückkommen. Sie werden dann heiraten und zusammen ihr Kind groß ziehen können.
Sven kommt früher zurück als er versprochen hat. Aber nicht freiwillig. Er kommt zurück, nachdem Yasmin in den Nachrichten wieder einmal von toten Soldaten gehört hat.
Er erreicht seine Heimat in einem hölzernen Sarg verstaut, streng mit einer Bundesflagge geschmückt. Er kann Yasmin den versprochenen Kuss bei seiner Ankunft nicht mehr geben. Sie weiß nun, er wird nie ihr gemeinsames Kind erleben und lieben, sie werden es nicht zusammen aufwachsen sehen. Ihr geht es so, wie es vielen afghanischen Frauen und Männern geht. Und anderen, die inmitten der Kriege dieser Welt das Überleben suchen.
Die Bundeswehr veranstaltet eine große Trauerfeier, die Kirche des Heimatortes von Sven gibt eines ihrer sakralen Gebäude dafür her. Die anschließende Beerdigung findet im engsten Familienkreis statt, wie die Nachrichten verkünden.
Yasmin geht nicht in die Kirche, sie hört nicht die Ansprache des Verteidigungsministers. Sie kennt seine betroffenen Worte bereits aus dem Fernsehen. Sie geht auch nicht zur Beerdigung. Sie nicht und das Kind nicht.
Aber nachdem das Offizielle vorbei ist, sucht sie auf dem städtischen Friedhof das Grab von Sven. Es zu finden ist nicht schwer, fast beugt die Last der Blumen den Grabstein zu Boden. Sie kniet sich hin und weint. Und in ihrem Bauch glaubt sie das Kind weinen zu fühlen, dass schon vor seiner Geburt seinen Vater verloren hat.
Yasmin küsst den Grabstein, ihre Lippen bleiben minutenlang an ihm kleben. Er schmeckt kalt und nach Tod. Jetzt weiß sie, wie der letzte Kuss schmeckt.
An diesem Abend versucht sie Trauer und Einsamkeit vom Fernsehprogramm vertreiben zu lassen. Sie zappt durch die Sender, stößt irgendwann zufällig auf die Bilder der Nachrichten. Sieht Menschen in einer afghanischen Stadt gegen die Bombardierung eines Dorfes demonstrieren. Gegen den Tod von Frauen und Kindern. Ihre Männer sind wütend, vielleicht auch nur verzweifelt. Sie versuchen den Stützpunkt der Bundeswehr zu stürmen. Die Soldaten wollen sie abwehren, schießen in diem Menge. Einige der angreifenden Männer sterben.
Noch mehr Kinder, die ohne Vater aufwachsen müssen, denkt Yasmin. Sie nimmt ihr Kuschelkissen, welches schon ihr Seelentröster war als Kind und auch noch in der Pubertät, und legt ihr Gesicht hinein. Das Kissen spendet keinen Trost, aber es nimmt die Tränen auf, die sie vergießt. Eine nach der anderen. Scheinbar endlos.
Doch irgendwann gibt es doch ein Ende, die Tränen versiegen. Yasmin streicht über ihren Bauch, der bisher nur Eingeweihten von dem kommenden Leben erzählt.
"Aber du", flüstert sie zu dem in ihren Bauch, oder zu der, den heutzutage werden ja auch Frauen Soldatinnen, "du wirst nicht zur Bundeswehr gehen."
Nach diesem Satz fließen ihre Tränen erneut. Für Sven, für die toten Menschen in Afghanistan, und für alle Ungeborenen, die wir nicht vor einem solch sinnlosen Tod bewahren können.



(21,0 P. )

Freitag, 1. Juli 2011

Elisabeth Hackel: Verdunklung


Als ich an den Frieden glaubte,
in dem keine Mutter
ihren Sohn beweint,
wollte ich nie wieder
nachts ein Licht einsperren
und zieh doch abends jetzt
die Gardine zu.

Liege ich wach,
fehlt mir der Himmel,
und ich hör den Vater wieder
wie damals vor dem Krieg.
Trau schau wem“,
flüstert er,
wenn er Frieden sagt“.





Warten auf den Frieden

Die letzten Schüsse treffen
ungestört ihr Ziel
und der allerletzte
noch immer nicht dabei
und ein Reporter sagt
Der Krieg klingt langsam aus“,
als wärs ein heitrer Abend,
ein ausgelassenes Fest ...





Damals ein Kreuz


Früher
wenn ich schlafen wollte,
zählte ich Wolkenschafe –
Heute zähl ich die Kriege
vom vergangenen Tag.

Gestern,
wie man so sagt,
gab ich die Stimme ab,
machte ein Kreuz
auf weißem Papier –
Heute möchte ich schreien,
wie sie mit meinem Kreuz handeln,
wie sie es morgen im Krieg
teuer als Grabkreuz verkaufen.

Wir m üssen ihre Zeit abrüsten,
in der sie unter weißer Fahne
nach neuen Jagd-
und Kriegsgründen suchen.



Frau Hackel, Jg. 1924, ist die älteste Teilnehmerin des Wettbewerbs ...