Mittwoch, 4. August 2010

Silvia Friedrich: Für Mendel u.a.

Für Mendel

Rein zufällig sah ich dich im Fernsehen Mendel,
da lebtest du in echt schon gar nicht mehr.
Und dieser Film hieß „Mendel lebt“.

Ich sah dir zu und du erinnertest mich an meinen Vater.
Und an meine Mutter gleichzeitig.
Denn sie sprach das ü wie i genau wie du.
Das macht man wohl so im Polnischen.

Ach Mendel, Mendel.
Ich musste weinen, wenn du erzähltest von damals, als deine Folterknechte dich zu Staub zertreten haben.
Ich habe mit dir geweint Mendel, glaube mir.
Und ich bitte dich um Vergebung.
Ich bitte dich um Verzeihung für etwas, was man nicht verzeihen kann.

Man hat dein Leben ruiniert, deine Familie ermordet.
Man hat versucht, dir deine Würde zu rauben.
Aber, das Mendel, das ist ihnen nicht gelungen.

Vergib mir Mendel, dass ich dich nicht trösten konnte.
Ich hätte es so gerne getan,
So gerne.

Für Mendel II

Mendel, weißt du, ich hatte einen Traum.
Dass wir noch einmal beginnen könnten.
Du lebtest in deinem Dorf und mit dir deine Eltern,
Und du warst ein lustiger junger Mann und hast voller Freude die Welt erobert.

Und ich, ich gehörte zu einem Volk, das nur dein Nachbar war.
Und sonst nichts.
Und dann besuchte man sich gegenseitig.
Und lernte voneinander.
Und feierte und lachte.

Ich konnte in dem Traum die Freude nicht ermessen, die sich breit machte.
Über all die Menschen, die miteinander lebten.
Weißt du, manchmal gehe ich durch Berlin, wo ich seit dreißig Jahren sesshaft bin
Und denke an die vielen Menschen, die hier fehlen.
Dann stolpert man über die Steine, die in den Straßen eingelassen, ein wenig von ihnen erzählen.
Was für eine Stadt hätte das sein können, wenn sie noch alle da wären.
Die Ermordeten, die Geflohenen, die Vertriebenen, die Gejagten.
Die, die hierher gehörten.
Die, deren Lücke niemals mehr geschlossen werden kann.

Ich hatte einen Traum, dass wir noch einmal beginnen könnten.
Onkel Anton

Ich habe dir zugehört
Da war ich noch klein.
Verstanden habe ich nicht viel.
Du hast gesungen von Mariechen, die weinend im Garten saß
Und ich musste weinen, weil das so traurig war.
Am Tag des Eichmann-Prozesses hörtest du Radio und ich saß dabei.
Und dann hast du geweint, weil du an Deine Familie dachtest
Die nicht mehr lebte
Und nun lebst du auch nicht mehr
Schon lange nicht
Ach, wie gerne würde ich mich mit dir einmal unterhalten
Über Mariechen und auch sonst so.



(20,0 P.)

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