Donnerstag, 14. April 2011

Cranch Bahr: Erfüllte Wünsche


In der Adventszeit erfuhr die Frau von ihrem Gynäkologen das sie
schwanger war, und in der Nacht des Heiligen Abend, als sie vom
Festtrubel erschöpft im Bett lag, da betete sie zu Gott. Sie flüsterte
ihr Gebet, denn sie wollte ihren Mann, der neben ihr bereits tief und
fest schlief, nicht wecken. Zudem wäre es ihr peinlich gewesen, wenn
ihr Mann sie beim Beten überrascht hätte. Vielleicht hätte er es
kindisch gefunden, wie sie so unter ihrer Bettdecke lag, die Hände
gefaltet hielt und - ohne sich um ihre Wortwahl zu scheren - zu Gott
betete.
„Lieber Gott! Bitte mach, dass dieses Kind ein Junge wird. Mit den
Mädchen, die du uns bisher geschenkt hast, bin ich zwar sehr zufrieden,
aber ich hätte zur Abwechslung gerne einen Jungen. Nur um zu sehen, wie
groß die Unterschiede im Verhalten und im Charakter zwischen den
Geschlechtern tatsächlich sind. Außerdem wäre es nett, wenn mein Mann
jemand zur Unterstützung an seiner Seite hätte, wenn er sich gegen
seinen Frauenhaushalt durchsetzen muss. Und du weißt ja selber, dass er
ein guter Mann ist und es verdient hätte, einen Sohn zu bekommen.“
Sie sah ihren Mann an, der neben ihr leise vor sich hin schnarchte und
ihr Blick war voller Liebe. So setzte sie rasch ihr Gebet fort: „Und
wenn du uns tatsächlich einen Jungen schenken solltest, dann könnte er
auch rote Haare haben. Selbst das würde unsere Freude nicht trüben.“
Die Frau dachte, das sei ein gutes Zugeständnis, denn rothaarige Babys
waren im Allgemeinen nicht sehr beliebt. Sie jedoch würde ihren
rothaarigen Jungen über alles lieben. Würde Gott sich auf diesen Handel
einlassen?
In Gedanken wanderte sie ihre Ahnengalerie entlang. In den letzten
hundert Jahren waren in ihrer Familie nur drei Jungen geboren worden.
Und davon hatte nur einer das Erwachsenenalter erreicht. Die beiden
anderen wurden, halbe Kinder noch, im zweiten Weltkrieg eingezogen und
starben an der Front in Frankreich.
Die Frau erschrak. Wenn nun auch ihr Sohn irgendwann einmal in den
Krieg ziehen musste? Sie hatten in ihrer Familie keinerlei Erfahrungen
mit Wehrdienst und Kriegsdienstverweigerung. Sie hatte sich noch nie
darüber Gedanken gemacht, wie man seinen Sohn dazu überreden konnte,
kein Soldat zu werden.
Vielleicht haben wir ja Glück, beruhigte sich die Frau selber, und
unser Sohn hat soviel Verstand, dass er sich eigenständig für den
friedlichen Weg entscheidet, ohne dass wir ihn allzu sehr überreden
müssen.
Aber sie erinnerte sich auch an die Worte anderer Mütter, dass Jungs
wild seien und kaum zu bändigen und dass sie am liebsten mit Pistolen
spielen und auf alle Leute zielen, denen sie begegnen. Und selbst wenn
man ihnen die Pistolen wegnimmt, dann formen sie ihre Hände zu Pistolen
– Zeigefinder ausgestreckt, Daumen in die Luft, die restlichen Finger
zur „Faust“ geballt – und ballern munter weiter.
Die Frau wusste, dass sie nochmals Gottes Hilfe benötigte und
flüsterte ihm leise zu: „Wenn du uns wirklich in deiner unendlichen
Güte einen Sohn schenken solltest, dann wünsche ich mir, dass er
niemals Soldat wird. Amen.“


Sieben Monate später gebar die Frau einen rothaarigen Sohn. Und als
seine Eltern ihn voller Liebe gemeinsam betrachteten, da wusste die
Frau, dass Gott ihr auch den zweiten Wunsch erfüllt hatte. Ihr Sohn
würde niemals Soldat werden. Er war behindert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen