Freitag, 1. April 2011

Martin Voigt: Ejaculatio pro pace

Frieden ist mehr Erwerbsbeteiligung und umgekehrt

In einem kleinen privat geführten Betrieb für Kunststoffverarbeitung im Herzen Deutschlands ist
vor einigen Monaten etwas Sonderbares vorgefallen. Während einer sehr ruhigen, langweiligen und
auch etwas einsamen Nachtschicht passierte dem neuen Praktikanten nämlich ein kleines
Missgeschick. So unbedeutend das Ereignis auch war, so groß war jedoch der Gewinn für die
gesamte Menschheit, denn bereits jetzt lässt sich feststellen, dass dem höchsten und edelsten Ziel
seit der Vertreibung aus dem Paradies allmählich sein utopischer Status abhanden kommt. – Ja, der
Weltfrieden! Er rückt in greifbare Nähe! Und wenn er dann da ist, der Weltfrieden, dann trägt er den
Namen eines Praktikanten für Kunststoffverarbeitung, an den sich aber niemand mehr erinnern
kann. So ist das manchmal mit unbedeutenden Kleinigkeiten. Die unbedeutende Kleinigkeit jener
Nacht passt in eine hohle Hand und zwar in die hohle Hand des Praktikanten. Wenn man die
Wirkungskette noch weiter zurückgehen möchte, muss man sagen, das eigentlich das anregende
Julifoto eines Werbekalenders Schuld daran war, dass die unbedeutende Kleinigkeit während der
einsamen Nachtschicht in der hohlen Hand des Praktikanten landete. Oder die Firma für Mess- und
Regelungstechnikanlagen, die den Kalender für ihre Kunden in Auftrag gegeben hat, oder die Bildagentur,
die sich die wirklich gelungenen Fotos der Miss Juli für Mess- und Regeltechnik teuer
bezahlen ließen, oder Miss Juli für Mess- und Regeltechnik selbst, die ihr Erspartes gleich nach
ihrem 18. Geburtstag in ein ansehnliches Anlageformat investierte, war Schuld daran, dass die
unbedeutende Kleinigkeit usw..
So könnte man noch lange rätseln. Tatsache bleibt, der Praktikant machte während seiner einsamen
Nachtschicht den ersten Schritt auf den Mond, denn er wusste nicht wohin mit der unbedeutenden
Kleinigkeit in seiner hohlen Hand, die schon nach kurzer Zeit vom vielen hohl machen und gerade
halten etwas verkrampfte.
Das nächste Waschbecken war weit und die Zentrifuge mit dem neuartigen Kunststoffgemisch so
verlockend nah. Eine kleine Handbewegung für ihn, ein großer Schritt für die Menschheit und das
war sie nun, die Geburtsstunde für die Anwendung und Weiterverarbeitung eines so vielseitigen und
erneuerbaren Rohstoffs, der bald in aller Munde sein sollte.
Die Messergebnisse am nächsten Morgen waren phänomenal. Der Verformungskoeffizient des
neuen Kunststoffes übertraf alle Erwartungen und dennoch ging die Sprödigkeit gegen Null, gerade
so, als hätte man es mit lebendem Material zu tun. Aus dem nächtlichen Missgeschick wurde eine
geniale Eingebung und aus dem Praktikanten ein Angestellter. Aber nicht nur irgend ein gering
qualifizierter Angestellter, sondern der Posten des technischen Direktors wurde ihm zugetragen. Er
gab sich auch alle Mühe, das in ihn gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen, und reagierte versiert
auf die neue Situation. Das logistische Problem der Rohstoffbeschaffung konnte zunächst intern
gelöst werden, nachdem die Kompetenzbereiche aller männlichen Mitarbeiter entsprechend
erweitert worden waren.
Der Weltmarkterfolg des kleinen mittelständischen Betriebes war so groß, dass das Patentgeheimnis
bald keines mehr war. Die Weltöffentlichkeit war geweckt und blickte gebannt in das Zentrum der
Innovation und auf das Volk der Dichter und Denker. Presse und Wissenschaftsjournale
überschlugen sich förmlich mit täglich neuen und hoffnungsvollen Spekulationen über mögliche
Anwendungsgebiete des alternativen Rohstoffs. Weltweit wurden Forschungsprojekte mit
horrenden Etats ausgestattet. Die Staatsverschuldung stieg, aber keine der führenden
Industrienationen konnte es sich erlauben den Anschluss in Erforschung und Entwicklung der neuen
Technologie zu verlieren. Leider stellte sich heraus, dass lediglich das Ejakulat einer Gorilla
Population in den Highlands des Kahuzi-Biega Nationalparks ähnlich gute Eigenschaften für die
Industrielle Nutzung aufwies. Noch bevor über die Züchtung dieser seltenen Art diskutiert werden
konnte, demonstrierten Tierschützer für die Persönlichkeitsrechte des Menschenaffen. Die meisten
Schwellenländer und einige bevölkerungsreiche Entwicklungsländer erkannten die Gunst der
Stunde und brachten sich und ihre natürlichen Rohstoffvorkommen gekonnt ins Gespräch.
Langfristige transkontinentale Handelsbeziehungen wurden geknüpft und dergleichen mehr.
Am schnellsten reagierte die Lebensmittelindustrie in der realwirtschaftlichen Umsetzung, denn nur
wenige Versuche waren nötig, Hypothesen über den Nutzen des bis Dato für wertlos gehaltenen
Ausscheidungssekret männlicher Lust zu verifizieren. So kam es vor allem als Trägerbasis für
Aromen und Gewürzmischungen in Süßwaren und Fertiggerichten zum Einsatz. Die für den
menschlichen Verzehr völlig unbedenkliche Proteinzusammensetzung ermöglichte einen sofortigen
Produktionsbeginn, ohne aufwendige Aufbereitungsverfahren. Die geschmackliche Vielfalt und
Nuancierung die mit dem neuen Trägermaterial erzielt werden konnte, bescherte den großen
Lebensmittelkonzernen enorme Umsatzrekorde und dank der anfänglich guten Versorgungslage
auch Rekordgewinne.
Aber das war nur der Anfang. Binnen kurzem waren bahnbrechende Erfolge in allen Industriezweigen
zu vermelden und der Wirtschaftsboom eines neuen technologischen Zeitalters begann.
Dementsprechend stieg die Nachfrage nach dem gefeierten Rohstoff immer mehr an. Ein komplett
neuer Industriezweig entstand. Der neue Markt war schnell im Bewusstsein der Bevölkerung
angekommen – quer durch alle Bildungsschichten. Jeder zeugungsfähige Mann konnte ohne
Anfangsinvestition seine Potenz gewinnbringend vermarkten. Einen kleinen Informationsvorsprung
hatten natürlich die führenden Angestellten aus dem Finanzsektor, die sich schon ab der Stunde Null
als Nebenerwerbsproduzenten auf dem Markt positionierten.
Aber schon ein, zwei Woche später entstand der Berufszweig des Vollzeitproduzenten, der ohne
Schulabschluss und Ausbildung begonnen werden konnte und die Bundesagentur für Arbeit
entfernte den Plural aus dem langen Wort Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Fast zeitgleich
prangerte der Lehrstuhl für Gender einer bekannten Universität gemeinsam mit einer Dachorganisation
von Frauenbeauftragten die Benachteiligung der Frau in dem neuen aufstrebenden
Industriezweig an. Nur mühsam konnten die Wogen geglättet werden. Erst als auf die entscheidende
Rolle der Frau bei der Lusterzeugung im Nucleus Praeopticus des Mannes hingewiesen wurde und
ihr somit schließlich der Erfolg für den wirtschaftlichen Aufschwung von offizieller Seite bestätigt
wurde, war der soziale Friede wieder hergestellt. Um neuen Unmutsäußerungen schon vorab den
Wind aus den Segeln zu nehmen wurde eigens ein Ministerium für Animation und Lusterzeugung
gegründet, welches selbstverständlich nur mit Frauen besetzt war. Die Ministerin für Animation und
Lusterzeugung, eine ehemalige Burlesquetänzerin, wurde fast über Nacht zur mächtigsten Frau im
Land. Tatsächlich konnte mit den von ihr in die Wege geleiteten Maßnahmen sehr bald die
Inlandsnachfrage komplett mit der eigenen Ressourcenausschöpfung befriedigt werden. Zum
Beispiel wurden in speziellen Trainingszentren für Animation und Lusterzeugung in kürzester Zeit
hunderttausende junger Frauen und Mädchen in schnellen und Ziel führenden Programmen
unterwiesen, die Namen wie Ejakulation in drei Schritten oder Jeder Tropfen Zählt trugen. Hübsche
Frauen verdienten mindestens genauso viel wie ein potenter Produzent, die schönsten und
lieblichsten Mädchen sogar hundert mal so viel.
Die mit Kartellgesetzen gesicherte, gleich bleibend hohe Vergütung des stets gefragten Rohstoffes
führte dazu, dass binnen kurzem jede Form der Sexualität nur noch zur privaten
Gewinnmaximierung diente. Potenzpillen und spezielle Präservative mit erweitertem Fassungsvermögen,
die übrigens dank einer neuen Latexmischung sehr angenehm zu tragen waren, gab es in
den dafür zuständigen Behörden gegen die Vorlage einer ärztlichen Potenzbestätigung umsonst. Mit
einer Besessenheit wurde Tag und Nacht produziert. Private Haushalte in ihrer Gesamtheit standen
dabei den gewerblichen Organisationen um nichts nach.
Die Einbindung der gesamten, weltweit zur Verfügung stehenden Schaffenskraft des Mannes in den
Wirtschaftskreislauf, hatte ungeahnte Folgen für das politische Weltklima. Es verbesserte sich
zusehends oder war einfach nicht mehr im Blickpunkt einer intellektuellen Öffentlichkeit. Das
individuelle Streben nach Gewinn und die damit einhergehende Gemütsbefriedigung und körperliche Auslastung beschränkten den männlichen Interessensradius auf wenige Quadratmeter –
jeder Auswurf war ein Schuss für den Frieden – und der weibliche Teil der Weltbevölkerung fand
keinerlei Gefallen an der gewaltsamen Fortführung bestehender Konflikte, die zunehmend dahin
verschwanden, wo sie herkamen, nämlich in die nun endlich ausgelasteten Keimdrüsen des
männlichen Sexualhormons.


(22,0 P.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen